In „Herkunft“ schildert der nunmehr siebzigjährige Strauß seine Erinnerungen an seine Eltern. Den Großteil seines Büchleins widmet er dem Vater, den er als „aus der Zeit gefallen“, konventionell und dabei auch stur beschreibt. Der Mann, der versucht, das bürgerliche Ideal auch nach der Flucht aus dem Osten und der Enteignung des Besitzes aufrecht zu erhalten, dessen Tagesablauf immer gleich, immer ausgehfertig bekleidet beginnt und doch größtenteils am heimischen Schreibtisch stattfindet. Die tägliche Routine scheint für den jungen Strauß aber nichts Bedrückendes, Enges zu haben, vielmehr macht er in dem ehemaligen international besuchten Kurort Bad Ems seine eigenen Erfahrungen, in seiner Bildung immer wieder angeleitet durch den Vater. Als Leser kommt einem der Gedanke, ob der Vater, wie beschrieben, eigentlich eine traurige Figur ist, ob das Beharren auf Konventionen und strikte Routine ein erfülltes Leben bieten oder bieten können. Strauß hadert – anders als Lothar Struck in der Autofiktion Grindelwald – nie mit seinem Vater; durch seine Beschreibungen zeichnet er auf wenigen Seiten das facettenreiche Bild eines Mannes, den man unweigerlich versucht, sich in der heutigen Zeit in einer lauten und hektischen Stadt vorzustellen.
Der Mutter sind nur ein paar wenige Seiten gewidmet. Sie erscheint als Frau, die unbekümmert nie viel erwartet hat und auch nicht brauchte, um glücklich zu sein. Und die sich im Alter diese Haltung, diesen Charakterzug bewahrt hat.
Ein bisschen Melancholie schwingt mit in Strauß’ Erzählung. Ein wenig antiquiert manchmal die Sprache, die er verwendet. Unweigerlich fragt man sich, wie wohl sein Vater geschrieben, welche Worte er gewählt hätte, er, der auch schriftstellerische Ambitionen hatte. Vielleicht wären sie ähnlich gewesen.
Botho Strauß, Herkunft, Hanser 2014, 96 S., 14,90€.