Reso Tscheischwili: Die Himmelblauen Berge (1980/2017)

Der Alptraum eines jeden Schriftstellers: Nach Monaten der Qual, des Schreibens unter Aufbietung all seiner Kräfte (gar zur Gewichtsabnahme hat’s geführt) gibt man sein überarbeitetes Manuskript beim Verlag ab – und niemand liest es. Ein moderner georgischer Klassiker macht Lust auf das Gastland der Frankfurter Buchmesse 2018.

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Das Haus, das Verrückte macht

Überhaupt erscheint der Verlag das Haus zu sein, das Verrückte macht: Alle beschäftigen sich mit irgendwas, nur nicht mit ihrer eigentlichen Arbeit. Schriftsteller Sosso, der monatelang an der Überarbeitung seines Manuskriptes gesessen hat, kommt nicht in den Genuss ehrlicher, fachkundiger Kritik an seinem Werk. Im Gegenteil: Sein Manuskript wird zerfleddert, liegt mal im Regen, einige Seiten sind plötzlich unauffindbar. So gehen die Monate ins Land und der Verlag kreist um nichts als sich selbst.

Eine Allegorie auf die Sowjetrepublik Georgien

Die absurden Dialoge, ständige Störungen der Arbeit durch Belanglosigkeiten, auf die sich alle mit Feuereifer stürzen, statt ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen: Reso Tscheischwili (1933-2015) schrieb schon 1980 eine wunderbar treffende Allegorie auf die Fehler der Georgischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Ein gutes Jahrzehnt, bevor es soweit sein sollte, beschreibt der Autor, wie sich Risse in die Wände des Verlagsgebäudes fressen. Immer wieder wird es von kaum wahrnehmbaren Beben erschüttert. Der Direktor treibt sich lieber auf Banketten und bei großen Banken herum, als den Verlag zu leiten und lässt sich aus Bequemlichkeit (oder aus Angst vor echter Verantwortung) verleugnen. Für den Leser ist es geradezu zermürbend, die Dialoge zu lesen, lange Zeit nicht genau zu wissen, worum es eigentlich geht und was die einzelnen Figuren überhaupt für Aufgaben innerhalb der Verlagsstruktur haben. Bis zum Ende war ich fest davon überzeugt, dass einige schlicht gar keine Aufgabe hatten.

Fazit

Als gesprochener Dialog, sei es auf der Bühne oder vor der Kamera, kommt „Die Himmelblauen Berge“ (übrigens der Titel von Sossos Manuskript) bestimmt noch schmissiger daher. Beim reinen Lesen zeigte sich aber schon, dass Tscheischwili als Meister seines Fachs gelten kann. Er verstand es, die Geduld seiner Leser ans Ende und die Absurdität seiner Geschichte in ungeahnte Höhen zu treiben. Eine Empfehlung für alle, die sich für georgische Literatur interessieren und die gut verpackte Sozialismuskritik nicht abschrecken kann.

Reso Tscheischwili, Die Himmelblauen Berge (aus dem Georgischen von Julia Dengg und Ekaterine Teti, mit einem Nachwort von Ilia Gasviani). Edition Monhardt 2017, 160 S., 22€, ISBN 978-3-9817789-2-2. Die Auflage ist begrenzt auf 1000 Exemplare.

Zum Buch auf die Verlagsseite


Weitere Meinungen zum Buch:
Dieter Wunderlich
Sätze&Schätze

Literaturtipps zu Georgien – Gastland der Frankfurter Buchmesse 2018:
Kaukasische Literaturen
Georgische Literatur beim Deutschlandfunk

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12 Gedanken zu „Reso Tscheischwili: Die Himmelblauen Berge (1980/2017)

  1. Hallo,
    ich bin stark beeindruckt von deiner Rezension,
    und auch von dem Buch. Es liest sich verwirrend und gleichzeitig wie eine absurde Parabel auf die Arbeitswelt. Georgische Autoren hatte ich bisher auch gar nicht auf dem Schirm.
    Hab dank für die Vorstellung.
    Dieses Buch hat ich mir mal gleich für meine Blogwanderung notiert
    Grüße – Daniela

    1. Hallo Daniela,

      danke deinen Kommentar und das Lob. Ich habe nur eine Ahnung, aber ich glaube, in der georgischen Literatur gibt es eine Menge zu entdecken. Vieles wird für uns deutschsprachige Leser jetzt erst durch die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr zugänglich.

      Eine Blogwanderung hört sich nach einer tollen Idee an; vielleicht gefallen dir auch die Beiträge aus der neuen Artikelserie „Nischenliteratur und Weitgereistes“, die ich immer wieder einschieben werde. Der erste Beitrag zu Literatur aus Guatemala ist schon online: https://wissenstagebuch.com/leseschwerpunkte/nischenliteratur-und-weitgereistes/

      Viele Grüße und Spaß beim Lesen hier,
      Jana

  2. Hallo Jana,
    schön, dass Du Dich auch für diesen Solitär interessiert hast. Ich hab das Buch mit großem Vergnügen gelesen: Auch wenn es natürlich Regimekritik, abzielend auf die Sowjetunion, beinhaltet, finde ich den Roman allgemeingültig: Die beschriebenen Charaktere finden sich in jeder Bürokratie wieder 🙂
    Danke für den Link, ich revanchiere mich natürlich umgehend 🙂

    Liebe Grüße, Birgit

    1. Hallo Birgit,

      ja, ich habe durchaus (selbstverständlich humoristisch überzeichnet…) Charaktere aus meiner Verwaltungsausbildung wiedererkannt. 😀

      Danke dir auch für’s Verlinken!

      Viele Grüße
      Jana

  3. Hallo Jana!

    Das klingt ja sehr verwirrend. Ich finde es immer super spannend Bücher von Autoren und Autorinnen zu lesen, die aus Länder kommen von denen ich wenig weiß. Georgen ist ein super spannend Gastland.
    Danke für deine Links zu georgischer Literatur. Vielleicht ist da ja ein Buch dabei, das mich mehr anspricht.

    Liebe Grüße
    Sabrina
    #litnetzwerk

    1. Hallo Sabrina,

      schön, dass ich dich auf das Buch aufmerksam machen konnte. Ich möchte in der nächsten Zeit noch etwas tiefer in die georgische Literatur eintauchen; bestimmt erscheint in der nächsten Zeit noch die eine oder andere Besprechung hier auf dem Blog.
      Vielleicht spricht dich ja auch ungarische Literatur an? Noch nicht allzu bekannt, aber sehr empfehlenswert ist z. B. György Dragóman, dessen Buch allerdings in Rumänien spielt: https://wissenstagebuch.com/2016/01/17/gyoergy-dragoman-der-scheiterhaufen/

      Liebe Grüße
      Jana

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