Julian Barnes: Der Lärm der Zeit (2017)

Wie Künstler sein in der Diktatur? Für das Regime oder dagegen? Ist ein Zwischenweg denkbar? Julian Barnes schreibt anhand belegter Eckpunkte die fiktive Lebensgeschichte des bekannten russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch, der zwischen diesen Fragen zerrieben wird und dem es dennoch gelingt, mit beachtlicher Produktivität unter Stalin und Chruschtschow tätig zu sein.

Ein Leben für die Musik, das nie frei von weltlichen Zwängen ist. Unerfüllte und erfüllte Liebschaften, die gewaltsame Umkrempelung dessen, was Schostakowitsch als „die russische Seele“ erkennt. Optimistisch soll er sein. Erbauliches fürs Volk schreiben. Wie rutschig dabei der Übergang zwischen Gnade und Ungnade im stalinistischen Russland ist, spürt der Komponist gleich mehrmals. Über die gutgemeinten Ratschläge zum Widerstand von jenen, die sich anschließend in ihren sicheren Heimatländern zur Ruhe betten, kann Schostakowitsch nur müde lächeln. Denn er wartet Nacht für Nacht mit dem Koffer in der Hand an der Aufzugtür auf seine Verhaftung. Erschreckend nachvollziehbar ist der Terror, der sich dabei den Weg in seine Gedanken bahnt. Obwohl vermeintlich nichts passiert.

Kurze, prägnante Sätze, klare Gedanken: Mit Julian Barnes gelang der Übergang von den Gesetzestexten zurück zur Literatur nahtlos. Der Roman ist perfekt durchkomponiert, kein Wort zu viel, keine Silbe verschwendet. Was bleibt, ist ein überzeugtes „L’Art pour l’art!“ und die leise Frage, was Schostakowitsch alles hätte erschaffen können, wenn der Lärm der Zeit nicht in seinen Ohren gedröhnt hätte.

Danke euch für diesen Tipp.

Julian Barnes, Der Lärm der Zeit (OT: The Noise of Time, aus dem Englischen von Gertraude Krueger), Kiepenheuer&Witsch 2017, 256 S., 20€, ISBN: 978-3-462-04888-9.


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Notizhefte
Muromez
masuko13

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