Lion Feuchtwanger: Jud Süß (1925)

Im Württemberg des 18. Jahrhunderts erkennt einer die Begabung des jungen und politisch unbedeutenden Feldherrn Karl Alexander schnell: Joseph Süß Oppenheimer, der sich bereitwillig als Finanzmann in die Dienste des jungen Adligen stellt. Als dieser dann tatsächlich Herzog von Württemberg und einer der mächtigsten Männer zwischen Preußen und Wien wird, erlebt auch „Jud Süß“, wie Oppenheimer gemeinhin genannt wird, einen kometenhaften Aufstieg. Als einer der reichsten Männer des Reiches residiert er in Prunk, sammelt Frauenbekanntschaften und Edelsteine; er hält alle Fäden in der Hand. Ein Geheimnis verbirgt der bedeutendste Mann des Reiches jedoch lange vor der Hofgesellschaft: Seine uneheliche Tochter, die fernab der restlichen Welt mit seinem Onkel, einem geheimnisumwitterten Kabbalisten, tief im jüdischen Glauben verwurzelt heranwächst. Oppenheimer liebt sie über alles und als sie sich vor dem zudringlichen Herzog in den Tod flüchtet, plant der Finanzminister sorgsam seine Rache.

Feuchtwanger_Jud Süß

Der Einstieg in den Roman fiel mir als ungeübter Leserin von historischen Romanen nicht leicht. Feuchtwanger hält die Sprache des 18. Jahrhunderts in der direkten und indirekten Rede seiner Figuren durchgehend aufrecht – das bedurfte einiger Eingewöhnungszeit. Dann aber konnte ich den sorgsamen Aufbau der Figuren, den Detailreichtum und Feuchtwangers Sprachgewalt in vollen Zügen genießen. Immer wieder war ich überrascht und begeistert von detailverliebten Beschreibungen und Andeutungen, die von der umfassenden Bildung des Autors zeugen. Besonders das Wechselspiel zwischen Judentum, der christlichen Mehrheitsgesellschaft (diese allerdings erbittert gespalten in Katholiken und evangelische Christen) und den reinen Machtmenschen, die Religion nur zu ihrem persönlichen Vorankommen im Ränkespiel nutzen, hat mich begeistert. Die allgegenwärtige Diskriminierung der jüdischen Gläubigen – und auch jener, die nicht gläubig waren – beschreibt Feuchtwanger so anschaulich, dass man meint, die „schmierigen Kaftane“ vor sich zu sehen und mitten in den ghettoartigen Stadtvierteln zu stehen.

Anders als Klaus Mann in Mephisto findet Feuchtwanger zwar auch bitterböse Formulierungen, um die Schlechtigkeit seiner Figuren zu verdeutlichen, er ist bleibt aber nicht dort stehen, sondern nutzt immer wieder auch wunderschöne, schmeichelnde Worte, um seine Figuren zu beschreiben. Schönheit und Schlechtigkeit existieren bei vielen seiner Figuren nebeneinander. Nicht zuletzt sein Protagonist Oppenheimer lässt den Leser ständig zwischen Abscheu und Sympathie schwanken. Was am Ende überwiegt, muss jeder selbst herausfinden.

Das Thema der Religiosität und auch der jüdischen Identität zieht sich durch den ganzen Roman und scheint besonders gegen Ende deutlich auf, als Oppenheimer sich klar zum Judentum bekennt und sich einer Konversion standhaft entgegenstellt. Feuchtwanger zeigt dabei aber deutlich Respekt für Gläubige aller vorkommenden Religionen; jene, die Gläubigkeit nicht als Weg zur Macht sehen, erhalten den Respekt des Autors.

Tipp-BlaseIch habe aus „Jud Süß“ eine Menge für das Wissenstagebuch mitgenommen: Feuchtwangers Sprache hält viele Wörter bereit, die heute nahezu verschwunden sind und auf die ich nie zuvor gestoßen bin. Die detaillierten Beschreibungen Württembergs im 18. Jahrhundert, Machtkonstellationen und Einflussmöglichkeiten in jener Zeit sind wunderbar herausgearbeitet. Die Bedeutung von Religion für die Politik wird großartig veranschaulicht, ebenso wird die Doppelmoral der gepredigten Ideale hervorgehoben. Das alles, zusammen mit Feuchtwangers Sprachgewalt, macht „Jud Süß“ auch bei anfänglichen Einstiegsschwierigkeiten unbedingt lesenswert. Seine „Jüdin von Toledo“ hat schon Einzug in mein Regal gehalten.

Lion Feuchtwanger, Jud Süß, 1925, verschiedene Ausgaben.

Feuchtwanger scheint in der Buchbloggerszene nicht allzu oft gelesen zu werden. Eine weitere Meinung zu „Jud Süß“ findet sich bei ausjelesen. Falls ihr das Buch auch besprochen habt, verlinkt euch gern in den Kommentaren.

 

17 Gedanken zu „Lion Feuchtwanger: Jud Süß (1925)

  1. Wow, das klingt verlockend, vielen Dank für diese tolle Besprechung! Feuchtwanger und gerade dieser Roman sind mir immer mal wieder von meinen Eltern nahegelegt worden, aber ich habe ihn trotzdem nie gelesen. Das muss ich wohl ändern!

    1. Auf jeden Fall! Nach einem etwas mühsamen Einstieg bekommt hat man als Leser richtig Spaß, die Ränkespiele und Intrigen des Adels und Klerus‘ zu verfolgen. Feuchtwanger schafft es, dass man sich wirklich in der Zeit angekommen fühlt.

    1. Da hast du auf jeden Fall mehr von Feuchtwanger gelesen als ich! Ich lerne erst jetzt im Nachgang immer mehr Werke von ihm kennen. „Jud Süß“ schien mir immer das bekannteste Werk zu sein, aber von „Die hässliche Herzogin“ habe ich auch schon häufig gelesen. Von der Josephus-Trilogie allerdings noch gar nicht. Ich glaube, da gibt es noch einige Schätze zu heben.

  2. Was für ein Zufall: Ich habe Feuhtwanger vor vielen Jahren gelesen und vor ein paar Tagen in den ersten Band der Josephus-Trilogie geschaut. Gleich war ich wieder mitten drin in der Geschichte, war mitten in Rom und bin vom jüdischen Viertel über die Brücke gegangen. Also habe ich den Roman in die Urlaubslektürentasche gepackt. Und nach deiner „Jud-Süß“-Besprechung habe ich erst recht Lust dazu. Wenn nur nicht die anderen Lektüren wären…
    Viele Grüße, Claudia

    1. Dann scheint Feuchtwanger ein wirkliches Talent dafür zu haben, uns mitten in seine historischen Schauplätze hineinzuwerfen. Ich hatte auch häufig das Gefühl, in Oppenheimers Wohnzimmer zu stehen. Ich wünsche dir viel Spaß mit der Urlaubslektüre! – Der Stapel der ungelesenen Bücher wächst sowieso stetig weiter ;-). Viele Grüße, Jana

  3. Liebe Jana, ich habe vor vielen, vielen Jahren (bestimmt über 30) fast alles von Feuchtwanger gelesen. Er war mein absoluter Lieblingsschriftsteller. Einige seiner Bücher habe ich dann vor ca. 20 Jahren wieder gelesen und sie haben den Test bestanden, darunter auch Jud Süß, aber auch die Maultasch, die Wartezimmer-Trilogie und vor allem mein Lieblingbuch, die Jüdin. Ich wünsche dir viel Freude damit und hätte direkt auch mal wieder Lust auf eine erneute Lektüre. Gäbe es nicht so viele andere tolle Bücher… Mal sehen! Viele Grüße, Petra

    1. Liebe Petra, dann hast du dich ja richtig in Feuchtwanger vertieft. Großen Respekt! Ich fand „Jud Süß“ großartig, aber das Lesen hätte „so nebenbei“ nicht funktioniert; da brauchte es bei mir wirklich Ruhe und viel Konzentration.
      Feuchtwangers gesamtes Werk zu lesen, war bestimmt ungemein bereichernd, allein der Wortschatz und die historischen Hintergründe! Die Jüdin möchte ich als nächstes von ihm angehen, aber wie ich hier aus den Kommentaren herauslese, kann man eigentlich zu jedem Buch von Feuchtwanger greifen, ohne etwas falsch zu machen. Welches seiner Bücher hat dir denn neben der Jüdin von Toledo am besten gefallen oder dich am meisten beeindruckt? Viele Grüße, Jana

      1. Liebe Jana, ich habe die meisten Bücher in meiner späten Schulzeit gelesen. Da hatte ich noch genügend Zeit 😉 und Feuchtwanger eine Zeit lang nach seiner Wiederentdeckung fast ein Modeschriftsteller. Angefangen habe ich mit Erfolg, das ich sehr empfehlen kann. Sehr eindrücklich war mir auch „Der Teufel in Frankreich“ über seine Flucht nach Sanary. Der falsche Nero ist auch interessant.
        Den gesamten Feuchtanger habe ich allerdings auch nicht gelesen, die Amerikabücher und zwei der Josephus-Trilogie fehlen mir z.B. auch. Wenn du biografisch interessiert bist, könnten dir auch Goya und Rousseau gefallen. LG

        1. Dass Feuchtwanger einmal so in Mode war, war mir gar nicht so bewusst. Aber so ergibt natürlich Sinn, dass so viele unterschiedliche Ausgaben seiner Werke existieren. Danke für deine Tipps!

  4. Eigentlich müsste ich diesen Roman sogar unbedingt lesen. Vor Jahren hatte ich mal die Gelegenheit, an einer moderierten Veranstaltung teilzunehmen, in der Veit Haralds „Jud Süß“ zu sehen war, der unsägliche, antisemitische Film von Josepf Goebbels Gnaden, sein Auftragswerk. Großes Leinwandkino. (Verleiht die Friedrich Murnau Stiftung, aber nur, wenn der Vorführung moderiert wird, bzw. es dazu Diskussionsrunden gibt – Es gibt auch einen Film über den Schauspieler, der den Oppenheimer spielte).
    Daher ist Feuchtwanger eigentlich ein Muss.

    1. Eine solche Vorführung des Films mit Moderation und historischer Einordnung würde ich auch sofort besuchen, ich werde Augen und Ohren offen halten. Tatsächlich liegt hier noch „Die Jüdin von Toledo“, die ich zuletzt nach ein paar Seiten weggelegt habe. Das Buch hat mich auf dem falschen Fuß erwischt, ich gebe ihm später noch einmal eine Chance. Ansonsten ist die große Feuchtwanger-Welle, von der einige Bloggerinnen und Blogger noch zu berichten wussten (ohne, dass uns mehrere Lebensjahrzehnte trennen würden), spurlos an mir vorüber gegangen und ich entdecke den Autor derzeit auf eigene Faust. Er scheint – jedenfalls auf den Blogs, denen ich folge – zur Zeit wenig gelesen zu werden. Schade eigentlich.

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