Dieser Schatz von einem Buch enthält 69 Reiseberichte aus 2500 Jahren Menschheitsgeschichte. In dem ausführlichen Vorwort wird erklärt, dass nur Berichte aufgenommen wurden, von denen man annimmt, dass sie Reisen beschreiben, die tatsächlich stattgefunden haben. Die Berichte wurden dann meist von Teilnehmern der Reise selbst verfasst. Dadurch, dass man den Autor als Reisenden betrachtet, eröffnet sich ein ganz neuer Blickwinkel. Einige der Reisenden kennt man eher aus anderen Kontexten: als Feldherrn, Naturwissenschaftler oder Figur der Bibel. So wird bspw. die Apostelgeschichte zum Abenteuer, in dem es Paulus gelingt, einen Großteil der Schiffsbesatzung seines Reiseschiffs am Leben zu erhalten.
Dadurch, dass die Berichte aus ganz unterschiedlichen Zeiten stammen, aber chronologisch angeordnet sind, zeigt sich auch ein Wandel in der Sprache, sowie im Denken der Schreibenden auf. Landschaften und Städte verändern ihre Namen und nicht selten ist man gezwungen, die beschriebenen Orte nachzuschlagen, um dann mit einem triumphierenden „Aha“ die Reiseroute nachvollziehen zu können. Dabei ist es doch nur wahrscheinlich, dass auch unsere Ortsbezeichnungen nicht von Dauer sind; dass auch sie sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte wieder verändern werden. Die Beschwerlichkeit der Reisen wird einem durch die Berichte ebenso vor Augen geführt, wie der jeweilige gesellschaftliche Wissenshorizont. Irgendwo hörte schlicht die Welt auf und die Fahrt ins Unbekannte war mit großen Risiken verbunden. Interessant ist der beigefügte einleitende Text zu jeder Reise, der kurz die Umstände des Reisenden in der damaligen Zeit skizziert. Längere Berichte wurden gekürzt, sodass die meisten eine sehr angenehme Leselänge haben, die es ermöglicht, sich in das Geschehen zu vertiefen, ohne gelangweilt oder von der Schreibweise gerade früherer Berichte allzu angestrengt zu sein.
Das Buch selbst ist mit großer Liebe zum Detail gestaltet. Neben dem zweifarbigen roten und schwarzen Druck finden sich auf den Innenseiten der Buchdeckel und als Illustrationen der Reiseberichte ausgesuchte Bilder.
Darauf, dass die Recherche zum vorliegenden Buch kleinteilig und umfangreich war, deutet das Quellenverzeichnis am Ende hin, das aufzeigt, wie viele Bibliotheken, Archive und Museen aufgesucht wurden, um dieses Werk zusammenzutragen. Wieland selbst weist darauf hin, dass es sich um eine subjektive Auswahl von Reiseberichten aus westlich-europäischer Perspektive handelt. Das tut dem Lesevergnügen in meinen Augen aber keinen Abbruch, selten lernt man auf so engem Raum so viel über Geschichte und kulturelle Besonderheiten. Ein definitiver Tipp für alle Abenteurer und Reisenden, die Berichte über manchmal gar nicht so ferne Orte lesen wollen. Hier weht ein Hauch Zeitgeist über jede Seite.
Rainer Wieland, Das Buch des Reisens, Propyläen – Ullstein 2015, 496 S., 48€, ISBN-13 9783549074565.
Kultur, Gesellschaft, Geschichte, Geografie
Die Einleitungen sind sicher ein Vorzug, der das Buch tatsächlich sehr interessant macht, die ausschließlich europäische Perspektive hingegen ist schade, allerdings hätte das Buch damit wohl eine sehr schlecht verkäufliche Länge (Seitenanzahl) bekommen.
Lieben Dank für den Tipp!
Das stimmt, das Werk ist schon jetzt sehr umfangreich und definitiv keine Lektüre für Bus und Bahn. Beim Lesen ist mir hin und wieder aufgefallen, dass die eurozentrische Perspektive ein wenig dadurch ausgeglichen wird, dass man griechische Reiseberichte – und auch andere – von vor über zweitausend Jahren, was den Horizont und die gesellschaftliche Herkunft ihrer Autoren betrifft, nicht mit dem heutigen Europa gleichsetzen kann. Von daher erscheint auch ein griechischer Bericht durchaus exotisch, wenn man ihn heute liest. Daher fand ich den Hinweis im Vorwort wichtig, aber er tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Trotzdem würden Reiseberichte von asiatischen oder amerikanischen Reisenden bestimmt eine ganz neue Perspektive eröffnen. Viele Grüße!