Callan Wink: Big Sky Country (2021)

„Was soll das überhaupt heißen?“, fragte er. „Ein Alkoholproblem.“

In seinem Debütroman „Big Sky Country“ schreibt der US-amerikanische Autor Callan Wink über das Aufwachsen im ländlichen Amerika. Ein Roman, der großartig hätte werden können, mich aber nicht überzeugte.

Big Sky Country

Darum geht’s in „Big Sky Country“

Wir begleiten den jungen August, der als Einzelkind bei seinen Eltern auf einer Milchfarm im US-Bundesstaat Michigan aufwächst. Das Leben dort ist vom frühen Aufstehen, der Sorge um die Milchkühe und harter Arbeit geprägt. Augusts Eltern leben zunächst auf derselben Farm getrennt, bis die Mutter einen Job in Montana annimmt und August mitnimmt. Unter dem weiten Himmel und den Rocky Mountains im Blick beendet er die High-School und nimmt einen Hilfsarbeiterjob auf einer abgelegenen Farm an. Dort setzt sich fort, was er seit Kindheitstagen kennt: harte Arbeit, verschlossene Menschen und die Langeweile der Einöde.

Mein Eindruck

Nach seinem 2016 auf Deutsch erschienenen Kurzgeschichtenband „Der letzte beste Ort. Stories“ wartete ich auf das Romandebüt des 1984 geborenen Autors Callan Wink. Die Erwartungen waren nach den pointierten, kraftvollen Kurzgeschichten hoch – und wurden insgesamt leider nicht erfüllt.

Der Inhalt
Recycling alter Texte

Zu Beginn des Romans hatte ich den Eindruck, einige von Winks Kurzgeschichten noch einmal zu lesen. Die Motive, selbst die exakten Formulierungen, waren genau die gleichen wie in dem 2016 erschienenen Erzählband. Den behält man lange im Gedächtnis, denn die Geschichten sind teils drastisch und die Motive unverwechselbar. So kamen mir die Tötung der Stallkatzen und das Aufhängen ihrer abgeschnittenen Schwänze, die Einbildung der Mutter, sie sei „Lichtköstlerin“ und könne sich fortan von Luft und Licht ernähren und die enge Beziehung zum Kindheitshund sehr bekannt vor. Dass hier Textausschnitte der Kurzgeschichten Eins zu Eins wiederverwertet wurden, war enttäuschend.

Insbesondere die ersten Kapitel des Romans wirken wie eine Aneinanderreihung von Kurzgeschichten. Die Kindheit des Protagonisten wird episodenhaft erzählt und viele der verwendeten Motive und Figuren tauchen im weiteren Verlauf des Buchs nicht wieder auf. Einige Kapitel stehen deshalb auffällig isoliert innerhalb des Romans.

Protagonist August: wortkarg und humorlos

Der Protagonist August erscheint anfangs als ruhiger Fels inmitten eines Meers verrückter Ideen und Geschwätzigkeit. Seine Mutter hat die eine oder andere esoterische Anwandlung und sein Vater mit seiner jugendlichen Freundin und der ererbten Farm alle Hände voll zu tun. Zeit, am Küchentisch über das „Wesen der Frauen“ zu schwadronieren, bleibt aber immer.

„Ich kann es ganz einfach sagen: Männer machen die Welt kaputt. Frauen können die Welt retten, machen dabei aber die Männer kaputt. Verstehst du?“

S. 253

Der anfängliche Eindruck vom Protagonisten ändert sich im Laufe des Buches. Zwar bleibt August wortkarg und humorlos, doch der Sympathieträger, der im kleinen Jungen angelegt war, wird er nicht. Seine Unfähigkeit, sich für begangenes Unrecht zu entschuldigen und betrunkenen Schlägereien aus dem Weg zu gehen, zeigen, dass er ein Produkt seiner Umgebung ist.

 

„Die meiste Zeit wollte er seine eigene Gesellschaft nicht, aber ihm fiel kein guter Ausweg ein.“

S. 368

Der Stil

Callan Wink schreibt klar, brutal, naturalistisch. Der Stil passt insgesamt gut zur erzählten Geschichte, in der die Härten des Landlebens die Hauptrolle spielen. An einigen Stellen, die deutlich hervorstechen, durchbricht Wink allerdings seinen Stil und verliert sich in fast poetischen Betrachtungen.

 

„Ancient kippte die Flasche so, dass es aus Augusts Blickwinkel aussah, als wäre der Mond darin gefangen und als wäre Ancients Trinken nichts als der Versuch, ihn zu erreichen – als könnte er den Mond in den Mund nehmen, wenn er ihn endlich herangeschluckt hatte, und ihn dann wieder an seinen rechtmäßigen Platz am Himmel zu spucken.“

S. 305

 

Seinem Protagonisten August dadurch mehr Tiefe zu verleihen, gelingt aber nicht, denn trotz der einen oder anderen lyrischen Anwandlung bleibt die Figur der pragmatische Landwirt, als die sie angelegt ist. Die Passagen passen nicht zur sonstigen Stimme des Erzählers. Etwas verunglückt wirken daher etwa Sätze, die die Vulgarität des Urinierens mit Betrachtungen der Natur mischen:

 

„Er ging draußen pinkeln, barfuß, das Gras taufeucht, während das Tageslicht gerade erst erstarkte.“

S. 310

Big Sky Country_2
Die Motive
Ein authentisches Bild des ländlichen Amerikas

Inhaltlich gelingt es Callan Wink, ein authentisches Bild des ländlichen Amerikas zu zeichnen. Der Alltag in Montana ist geprägt von harter Landarbeit, langen Wegen und gähnender Langeweile. Die rare Freizeit wird mit Alkohol weggespült, das örtliche Rodeo ist das Highlight des Jahres und wer es nicht schafft, dort jemanden für schnellen Sex im Truck zu finden, hat offenbar irgendwas falsch gemacht.

„Jetzt…jetzt gehe ich eben arbeiten und komme wieder nach Hause. Am Wochenende besaufe ich mich. Dasselbe macht mein Dad seit dreißig Jahren […].“

S. 356

Dazugehören ist Überleben

Das Dazugehören ist ein Thema, das der Roman gekonnt aufgreift und das wohl jedem Landei bekannt vorkommt. Zwar finden die Errungenschaften der globalisierten Welt in Form von Yoga, thailändischem Fast Food und britischen Hightech-Angelruten ihren Weg nach Montana. Doch davon abgesehen wird alles Fremde kritisch beäugt, Verschwörungstheorien sind allgegenwärtig. Bei Callan Wink wirkt jede Figur wie der typische Trump-Wähler. Neuankömmlinge haben es nicht leicht und diejenigen, die zwar in Montana geboren sind, sich aber nicht anpassen können oder wollen, verleben eine schwierige Jugend.

„Und ich bleibe einfach hier, und das ist okay, weil ich hierher passe. Wenn man dahin passt, wo man geboren wird, hat man Glück, das erspart einem eine Menge Stress.“ S. 346

 

Dass die Verachtung des Neuen, Anderen problematisch ist, erkennen die Figuren recht deutlich. Einige wenige wagen den Ausbruch, ziehen um in eine Großstadt oder beginnen sogar eine Beziehung mit einem Mädchen aus der örtlichen Hutterer-Gemeinschaft.

 

„Keine Helden. Wir laufen bloß alle den ganzen Tag durch die Gegend, mal hier, mal dort lang, aber immer dem Arsch vor uns hinterher.“ S. 283

Fazit

Callan Winks „Big Sky Country” ist inhaltlich eine Wucht und zeichnet ein authentisches Bild des ländlichen Amerikas, das an Geschichten aus dem Genre Country Noir erinnert. Stellenweise wirkt Winks Schreiben noch unausgereift und zieht sich inhaltlich auf Motive und Formulierungen seiner bereits veröffentlichten Kurzgeschichten zurück. Meine Empfehlung: Lieber die Erzählungen des Autors „Der letzte beste Ort. Stories“ lesen.


 

Callan Wink, Big Sky Country, OT: August, aus dem Englischen von Hannes Meyer, Suhrkamp Verlag 2021, 378 S., 23 €. (Warum die deutsche Übersetzung wiederum einen englischen Titel tragen muss, erschloss sich mir bis zum Schluss nicht.)

Weitere Meinungen zu „Big Sky Country”

Schreiblust Leselust
Buch-Haltung
Bookster HRO

2 Gedanken zu „Callan Wink: Big Sky Country (2021)

  1. Oh Gott, das ist nichts für mich. Sobald ich „Tötung von Stallkatzen“ gelesen habe, war das entschieden. Gewalt gegen Tiere halte ich überhaupt nicht aus…

    1. Ich auch nicht! Das geht mir auch viel näher, als wenn sich die Cowboys gegenseitig „aufs Maul hauen“ – die können sich wenigsten wehren.

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