[Leserunde] Susanna Clarke: Piranesi (2020)

Piranesi Susanna Clarke

Piranesi ist eines der ungewöhnlichsten Bücher, das ich in den letzten Jahren gelesen habe. Erstaunt, rätselratend und verwundert konnte ich es bis zum Schluss nicht aus der Hand legen.

Die Crew

Als mittlerweile erprobte Leserunden-Crew haben sich Steffi vom Blog MissBooleana, Kathrin von Phantásienreisen, Matthias alias @_quoth_ und ich kurz nach dem Erscheinen der deutschsprachigen Ausgabe zusammengeschlossen, um „Piranesi“ zu lesen. Was für eine gute Idee! Denn schon nach den ersten Seiten hatte ich einen enormen Bedarf, mich über das Buch auszutauschen. Unsere Gedanken teilen wir auf Twitter unter #PiranesiLesen.

Darum geht’s in „Piranesi“

Die Hauptfigur lebt in einem riesigen Haus mit unendlich vielen Sälen. Im Keller des Hauses rauschen Ozeane, im Obergeschoss türmen sich Wolkenberge auf, dazwischen lebt der Erzähler von Fischfang und Seetang. Er wird von der einzigen anderen Person, dem „Anderen“, dem er hin und wieder im Haus begegnet, „Piranesi“ genannt.

Wie er in das Haus gelangt ist, weiß er nicht mehr; seine Tage verbringt er damit, die von Marmorstatuen gesäumten Säle zu erkunden und zu kartographieren. Seine Eindrücke hält er in Tagebüchern fest, deren Auszüge den Roman bilden. Als der „Andere“ vor der Ankunft einer neuen Person im Haus warnt und sich auch sonst ziemlich merkwürdig verhält, gerät Piranesis Leben in Unruhe und er beginnt, sich die Fragen zu stellen, die den Leser schon die ganze Zeit umtreiben.

Mein Eindruck

„Piranesi“ lässt sich auch nach dem Lesen nicht so recht einem Genre zuordnen. Der Tagebuch-Roman hat teils Fantasy-Elemente, teils wähnt man sich auch in einem Mystery-Thriller – nur, um dann mit philosophischen Fragen konfrontiert zu werden. Genau dieser Mix macht das Lesen so unterhaltsam und kurzweilig.

So viele Rätsel, so viele Theorien

„Die Schönheit Des Hauses ist unermesslich, seine Güte grenzenlos.“

Schon nach den ersten paar Seiten fährt das Kopfkarussell im Kreis: Warum lebt Piranesi allein in dem riesigen Haus? Gibt es eine Außenwelt? Ist das alles vielleicht nur in seinem Kopf und in Wahrheit liegt Piranesi im Koma? Oder steckt gar in einer Zwangsjacke?

Die Autorin Susanna Clarke lässt den Leser Rätsel raten. Gerade, wenn man sich sicher war, die eigene Theorie im nächsten Kapitel bestätigt zu sehen, macht sie eine neue Wendung, ein neues Detail wieder zunichte. Das macht das Lesen aber nicht frustrierend, im Gegenteil: Durch die fantastischen Elemente kommt ein „Krimi-Feeling“, die Überzeugung, dass es am Ende die eine richtige Lösung geben muss, gar nicht erst auf. Zunächst einmal hat jede – noch so fantastische – Theorie den gleichen Gültigkeitsanspruch. Das macht auch das Diskutieren über das Buch so interessant: Während der eine versucht, aus Piranesi einen Kriminal-Fall herauszulesen, ist der andere „Shutter-Island“-mäßig im Kopf des Protagonisten und hält alles für dessen Hirngespinst.

Mit von der Partie war beim Lesen immer die Sorge, dass man mit irgendeiner Theorie richtigliegt und alles am Ende doch einfach nur ganz banal ist.

Bis zum Schluss ein Rätsel

Ein klitzekleiner Wermutstropfen bei „Piranesi“ ist, dass am Ende zwar viel geklärt wird, ganz dem teilweise philosophischen Ansatz des Romans entsprechend, aber keine allumfassende Lösung angeboten wird. So bleiben einige Fragen aus Susanna Clarkes Roman bis zum Schluss ein Rätsel. Unmittelbar nach dem Lesen empfand ich das als unbefriedigend. Jetzt, einige Tage später, bin ich mit dem Ende versöhnt.

Fazit

„Piranesi“ ist ein ungewöhnlicher Roman, der sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Er ist fantasievoll, ansprechend geschrieben, kitzelt die Neugier des Lesers und lädt zum Miträtseln ein. Große Empfehlung!

Ihr habt „Piranesi“ auch gelesen?

Dann habt ihr vielleicht Lust, euch an dem Quiz, das ich erstellt habe, zu versuchen. Wenn ihr gerade mittendrin seid: Das Quiz ist spoilerfrei und widmet sich den abseitigen Details des Romans.

Oder ihr diskutiert hier. Einige Fragen gehen mir immer noch durch den Kopf. Schreibt gern eure Gedanken dazu in die Kommentare.

Spoiler Inside: Fragen zu Piranesi SelectShow>
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23.01.21 Ankündigung bei MissBooleana

12.02.21 Quiz zu Piranesi hier auf dem Blog

20.02.21 Fazit bei MissBooleana

28.02.21 Fazit bei Phantásienreisen

8 Gedanken zu „[Leserunde] Susanna Clarke: Piranesi (2020)

  1. Mit dem Ende war ich direkt ziemlich zufrieden – nur mit manchen Spuren/Hinweisen bis dahin nicht so ganz. Aber das lässt sich nur diskutieren mit

    ! SPOILER ANFANG ! ——-
    Was zum Beispiel der Unterschied zwischen Mathew und James Ritter ist. Ritter war ja offenbar teilweise in der normalen Welt, Piranesi vollständig und die ganze Zeit im Haus. Aber wir kamen dann auf den gemeinsamen Nenner, dass Arne-Sayles Ritter immer mal zurückholen und ernähren musste, weil er sich im Gegensatz zu Piranesi nicht selbst versorgen konnte.

    Ansonsten fand ich das Ende sehr schön. Es hatte für mich eine so friedliche Note von „akzeptiere deine Welt und finde darin stets das schöne“, egal wo du bist. Überhaupt fand ich es fast schon beneidenswert wie sich Piranesi mit allem so abfinden und daraus das beste machen konnte. Eigentlich wurde ihm viel genommen und Wut und Verzweiflung wären ebenso nachvollziehbare Gefühle … . Eine Freundin, die auch im Buchclub ist, meinte das genau das bestimmt „das geheime Wissen“ ist. Das habe ich beim lesen schnell vergessen, also dass einige danach suchten. Deswegen hat mich die Erkenntnis im Nachhinein schon echt getroffen und ich finde den Ausgang dadurch echt bittersüß-schön.

    Übrigens zu deiner Frage wegen Piranesi, der Kinder und Statuten. Ich hatte den Eindruck, dass die Statuen allgemein sehr häufig zu Piranesis Stimmung passen und mir daher vorgestellt, dass das Haus oder die Statuen ein Stück weit leben und sich seiner Bewohner bewusst sind. Das passt auch ganz gut zu dem Zitat, das ich in meinem Fazit eingefügt habe – mit den Frühmenschen und der Vorstellung von Natur.
    Also beispielsweise als Piranesi mit dem Anderen kämpft oder den Kampf erwartet sind sie glaube ich in einem Saal mit Statuen, die in kriegerischen Posen dargestellt sind und halb zerstört usw. Wenn ich mich recht erinnere …

    ! SPOILER ENDE! ——-

    Ob die Begriffe noch aus irgendeinem speziellen Grund groß geschrieben sind, habe ich mich auch schon gefragt, finde aber keine wirklichen Hinweise darauf. Bisher sah ich das immer als einen Ausdruck von Piranesis Anbetung.

  2. „Während der eine versucht, aus Piranesi einen Kriminal-Fall herauszulesen, ist der andere „Shutter-Island“-mäßig im Kopf des Protagonisten und hält alles für dessen Hirngespinst.“
    Das beschreibt es ganz gut – der Roman lässt sich nirgendwo eindeutig zuordnen, steckt voller Elemente unterschiedlicher Genres und ist daher, denke ich, für eine breite Leserschaft geeignet. Mir sind solche Bücher tatsächlich auch am liebsten, weil sie eben nicht die gängigen vermeintlichen Standards oder Prinzipien einhalten, sondern genau wie die Welt vielfältig sind und wie jedes Leben voller unterschiedlicher Facetten.

    Das Ende fand ich ein wenig in die Länge gezogen, aber stimmig. Trotzdem hätte ich mir die ein oder andere Aufklärung noch gewünscht, z.B. was es mit den Statuen auf sich hat/ warum das ganze Haus voll von ihnen ist.

    *SPOILER:*
    Was die Großschreibung betrifft: Interessant, dass in der deutschen Ausgabe einige Begriffe so abgebildet waren. In der englischen Ausgabe waren auch vereinzelte Worte am Anfang groß geschrieben, so wie unsere deutschen Substantive. Es hat sich dabei ausnahmslos um Substantive gehandelt. Anfangs habe ich mich noch gefragt, warum Piranesi manche Substantive groß schreibt, andere klein, aber es später als irrelevant verworfen und nicht weiter verfolgt. Rückblickend war die Großschreibung (meine ich) nur bei Substantiven, die für ihn eine persönliche Bedeutung hatten (z.B. der Albatross), die ihm halfen, sich im Haus zu orientieren (z.B. die Statuen, die Hallen) oder in irgendeiner Form von ihm personifiziert wurden / zu einer Art eigenem Wesen wurden (z.B. das Haus). Bei Dingen, die er nicht (mehr) kannte oder zu denen er kein Bezug hatte, bspw. Begriffe aus der „alten“ Welt, blieb alles klein geschrieben.

    *SPOILER-ENDE*

    1. Liebe Kathrin,
      danke für deinen Kommentar! Mich hat „Piranesi“ auch mit seinem Facettenreichtum überrascht und ich bin sehr froh, vorher nicht allzu viel über das Buch gelesen zu haben, denn dieses „Wo soll das denn jetzt alles hinführen?“ hat für mich den größten Reiz am Lesen des Buchs ausgemacht.

      Spannend, dass du das Ende als in die Länge gezogen empfandest. Bei mir war es genau andersherum (was aber auch daran liegen kann, dass ich die zweite Hälfte in einem Rutsch durchgelesen habe): Ich fand, dass Piranesi nach dem Lesen seiner alten Tagebücher doch sehr schnell auf den richtigen Trichter kam und der Andere sich noch weniger Mühe als sowieso schon gegeben hat, seine üblen Absichten zu verschleiern. Den Teil in der realen Welt fand ich dann sogar recht kurz und habe mich ein bisschen gewundert, warum wir nicht mehr darüber erfahren, wie Piranesi jetzt mit den drei in seinem Körper wohnenden Persönlichkeiten/Persönlichkeitsfacetten umgeht. Deshalb ging es mir auch so, dass ich mir mehr Aufklärung gewünscht hätte: Was sollen die Statuen? Sind sie Abbilder der realen Welt? Suchen noch andere Studenten von Arne-Sayles nach dem Wissen? Was treibt Arne-Sayles eigentlich selber so? U.v.m.

      Dass die Großschreibung eine Art ist, die persönliche Bedeutung/Anbetung auszudrücken, glaube ich ganz bestimmt. Das kennt man ja z.B. aus religiösen Schriften wie der Bibel, wie „GOTT“ oder „Er“ grundsätzlich großgeschrieben sind. Dem darüber hinaus eine Bedeutung beizumessen, ist vielleicht wirklich eine Überinterpretation.

  3. Das Setting erinnert mich an die Otherworld-Serie von Tad Williams, da gab es viele virtuelle Welten und eine davon war auch so eine Welt, die aus einem einzigen riesigen Haus bestand. Muss ich auch mal wieder lesen 🙂
    Von Susanna Clarke wollte ich erst mal Jonathan Strange & Mr Norell lesen.

    1. Aus der Otherworld-Reihe habe ich bisher überhaupt noch nichts gelesen. Spannend, dass es da etwas Ähnliches gibt! Nach „Piranesi“ möchte ich auch gern Jonathan Strange lesen. Auch, wenn das ein ziemlicher Wälzer ist. Wenn es genauso gut geschrieben ist wie Piranesi, wird es bestimmt sehr kurzweilig. Habe bisher fast nur Gutes darüber gelesen.

      1. Ja, mir wurde der Jonathan Strange auch schon wärmstens empfohlen. Aber ja, es ist echt ein Wälzer 😉
        Hab mich vertan, die Serie von Tad Williams heißt „Otherland“, nicht „Otherworld“. Ist eine Tetralogie. Sie braucht ein bisschen, um in die Gänge zu kommen, aber wird dann genial. Hat auch viel von der Entwicklung des Internets vorweggenommen. Aber ich bin auch Tad Williams-Fan 😉

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