Frau Jenny Treibel ist ein Roman, in dem es in weiten Teilen nicht um Frau Jenny Treibel geht.
Die ehemalige Krämertochter Jenny hat mit dem Fabrikanten und Kriegsgewinnler Treibel eine gute Partie gemacht. Jetzt wacht sie eifersüchtig über ihren jüngsten Spross Leopold, auf dass dieser – ziemliche Langweiler – sich auch angemessen verheirate. Ihren ältesten Sohn Otto konnte Jenny mit der wohlhabenden Helene aus Hamburg verbandeln. Ein gelungener Coup, auch, wenn Helene ihre einzige Enkeltochter dressiert wie ein Hündchen und das auch noch „englische Erziehung“ nennt. Aber dann ist da plötzlich diese impertinente Corinna Schmidt, die Tochter ihres ehemaligen Schwarms und sogar Verlobten Professor Schmidt. Eine Bürgerliche wie sie, dazu gebildet bis zum Abwinken, aber ohne den nötigen Zaster. Dass so eine nun ihrem Leopold schöne Augen macht, kann sie nicht zulassen. Einschüchtern lässt sich Corinna aber nicht. Ein Plan muss her.
Was so aussieht, als halte Jenny Treibel alle Fäden in der Hand, liest sich im Roman ganz anders. Aufgrund des Titels war ich ohne Vorwissen davon ausgegangen, dass Jenny Treibel in dem nach ihr benannten Roman eine ähnlich prominente Rolle zugedacht sei wie Effi Briest im gleichnamigen fontan‘schen Klassiker. Doch es geht in weiten Teilen um das Lieben und Leiden der Corinna Schmidt.
Warum heißt der Roman eigentlich "Frau Jenny Treibel" und nicht "Corinna Schmidt"? #54readsTF
— Thomas Zirnbauer (@DerPressemann) April 7, 2019
Insgesamt wird viel über Jenny Treibel geredet, selten mit ihr. Als Leser bleibt man lange im Unklaren darüber, wie viel denn jetzt dran ist, an Treibels vermeintlich schwärmerischem Charakter, an ihrer Geltungssucht und an ihrer bourgeoisen Eitelkeit. Erst gegen Ende, als die Heirat von Corinna und Leopold akut wird, tritt Jenny als Protagonistin in den Vordergrund, während sie zuvor nur den Hintergrund für die Geschehnisse bildete.
Dabei lassen sich bestimmte Parallelen zwischen Corinna und der älteren Jenny nicht übersehen: Beide streben nach sozialem Aufstieg und machen sich hierfür zunutze, was Ihnen gegeben ist. Corinna ihre Bildung und ihren Intellekt; Jenny damals ihr ansprechendes Äußeres. Die Frauen vereint ebenso, dass sie am Ende wohl auch beide nicht aus Liebe heirateten. Als kalte Berechnung erschien mir das bei keiner der beiden; eher als eine Art strategisches Vorgehen, um ihren Charakter auch in ihrer Rolle als Ehefrau nicht verleugnen zu müssen.
Wirklich warm bin ich mit keiner der Figuren geworden. Bei den Frauenfiguren standen stets deren Unzulänglichkeiten im Vordergrund (Geltungssucht, manipulierendes Verhalten, übertriebene Etikette). Die Männerfiguren bewegten sich auf einer Skala von kindlich-jovial bis erbärmlich.
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Dass Marcell beim Vater seiner Angebeteten über diese herzieht, fand ich ziemlich erbärmlich. Onkel hin oder her.— Jana (@Wissenstagebuch) April 3, 2019
Hab bei Fontane irgendwie oft das Gefühl, er mochte seine Figuren nicht. #54readsTF
— Isabelle Levin (@IsaLevin42) April 2, 2019
Insgesamt fand ich Frau Jenny Treibel lesenswert, hatte mir nach „Effi Briest“ vor einigen Jahren aber mehr von dem Roman versprochen: mehr Psychologie, mehr Sittengemälde, mehr Interesse für die Figuren, die insgesamt eher als Typen, denn als Menschen bei mir ankamen. Dem Fontane-Hoch tut das keinen Abbruch; „Irrungen, Wirrungen“ und „Der Stechlin“ stehen noch auf meiner Klassikerliste.
Frau Jenny Treibel habe ich im Rahmen der April-Leserunde des Blogs 54reads gelesen. Die Diskussion findet sich auf Twitter unter #54readsTF.
Noch so ein Klassiker, den ich längst hätte lesen sollen. Vielen Dank für diese Einblicke!
Liebe Grüße
Niamh
Hallo Niamh,
Frau Jenny Treibel war sehr kurzweilig. Je mehr Klassiker von meiner Liste ich lesen, desto mehr bekomme ich den Eindruck, dass meine anfängliche ,,Scheu“ gar nicht begründet war und nur von den großen Namen genährt wurde. Viele der Bücher, gerade Fontane, haben mich einfach sehr gut unterhalten, auch, wenn sie nicht an den großen philosophischen Fragen gerührt haben. Ganz viel Spaß mit dem Büchlein, wenn du es demnächst zur Hand nimmst!
Liebe Grüße
Jana