Wenn man aus Westfalen nach Berlin zieht, erleidet man leicht einen kleinen Kulturschock. Die wochenendliche Flucht ins Umland hilft da zunächst nur wenig, denn es erwarten den Westfalen fremd klingende Ortsnamen und ein besonderer Schlag Mensch mit seinem ganz eigenen Humor. Und Sand. Viel Sand. Um das Berliner Umland einmal besser kennenzulernen und seine Geschichten zu hören, habe ich die Zusammenstellung des Fontane-Kenners Günter de Bruyn herangezogen. „Die schönsten Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ist eine Zusammenstellung der interessantesten Geschichten des umfangreichen Fontane-Werkes und zum Einstieg genau richtig.
Heiterer Pessimismus
„Die Landschaft ist trostlos, und die Dörfer sind arm. Überall mahlender Sand und Kiefernheide, dazwischen Brach- und Fruchtfelder, die letzteren so kümmerlich, daß man glaub die Halme zählen zu können. Auf Meilen hin eine reizlose Öde.“
(aus: Schloss Kossenblatt)
Bei solch einer pessimistischen Beschreibung musste ich laut auflachen. Wenn das schon einer schreibt, der hier aufgewachsen ist, was soll dann erst der Dazugezogene sagen? Tatsächlich macht es aber den Reiz seiner Beschreibungen aus, dass Fontane bezüglich der Eigenheiten der Mark-Bewohner und der eigentümlich leeren Landschaft kein Blatt vor den Mund nimmt:
„In einer alten Chronik heißt es: ‚Der Dreißigjährige Krieg kam nicht hierher, weil ihm die Gegend zu arm und abgelegen war.‘ Er wusste wohl, was er tat. Wie ein Feuer ohne Nahrung wäre er in diesem See- und Spreegebet erloschen.“
(aus: Die Wendische Spree oder Von Köpenick bis Teupitz an Bord der „Sphinx“)
Im leichten Plauderton, den ich bald zu schätzen wusste und schmerzlich vermisste, als er ins Historisierende abdriftete, lässt er es sich nicht nehmen, ausführlich über seine Gespräche mit Pfarrern und Dorflehrern zu berichten und dabei auch ein ums andere mal ins Lästern zu verfallen. Da sieht man die Beschriebenen vor sich und kann sich vorstellen, dass ein solcher Fontane-Artikel (viele der Wanderungsbeschreibungen erschienen zuerst in Zeitschriften) einem bislang unbekannten Dörfler zu (ungewollter) Berühmtheit verhalf.
Neben allen Seitenhieben gegen die märkischen Eigenheiten –
„Die Märker haben viele Tugenden, wenn auch nicht voll so viele, wie sie sich einbilden, was durchaus gesagt werden muß, da jeder Märker ziemlich ernsthaft glaubt, daß Gott in ihm und seinesgleichen etwas ganz Besonderes geschaffen habe.“
(aus: Die Märker und die Berliner und wie sich das Berlinertum entwickelte)
– merkt man Fontane doch an, wie sehr er die Gegend und die Menschen schätzt. In jedem Ort findet er das Besondere und erzählt seine Geschichte entlang der preußischen Landjunker, die ihn besonders faszinieren, deren Stammsitze er besucht und deren Bildnisse in den Dorfkirchen er bestaunt. Es sind kleine, abgeschlossene Reiseberichte, die neben Landschaft und baulichen Sehenswürdigkeiten auch auf Mythen und Legenden der Gegend eingehen und ihre Bewohner porträtieren. Nicht zuletzt geht der Reisende auch auf kulinarische Besonderheiten ein:
„Die Gelegenheit erscheint mir günstig, überhaupt die Bemerkung zu machen, daß unsere verschrieene Mark ein wahres Eldorado für Feinschmecker ist.“
(aus: In den Spreewald)
Ein Schatz: Die Anmerkungen von Günter de Bruyn
Die große Besonderheit dieser Zusammenstellung sind die hilfreichen, wunderbar recherchierten Anmerkungen von Günter de Bruyn. Sie machen ein gutes Drittel des Buches aus und sind ebenso spannend zu lesen wie der Fontanetext selbst. De Bruyn scheint vielfach selbst vor Ort gewesen zu sein, er gibt Worterklärungen und Querverweise zu den Romanen Fontanes. Er deckt Ungenauigkeiten in den Berichten auf und lässt uns wissen, was Fontane damals las, wenn er eine heute völlig unbekannte damalige Lokalgröße zitiert. In noch keinem Werk habe ich bislang so hilfreiche und lesbare Anmerkungen vorgefunden. Sie nach jedem Reisebericht aufzuschlagen war eine Freude. Durch sie erfährt der geneigte Leser, welche der beschriebenen Sehenswürdigkeiten heute noch erhalten sind, welche Geschichte die beschriebenen Dörfer in zwei Weltkriegen erfahren haben und welche Namen sie heute tragen.
De Bruyn sagt selbst, er habe die interessantesten Kapitel des umfangreichen Werkes ausgewählt. Viele Berichte seien schlicht belehrend und dem Lesegenuss nicht unbedingt förderlich. Das glaube ich gerne, denn es hat auch so ein, zwei Kapitel gedauert, bis ich mich in die Fontan’sche Sprache hineingefunden und den ungewohnt detailreichen Landschaftsbeschreibungen etwas abgewinnen konnte. Am besten gefallen haben mir dann auch die Kapitel über Orte, die ich schon selbst besucht habe. Da bekommt das Beschriebene gleich eine ganz andere Relevanz und mehr Aufmerksamkeit.
Sieh, das Gute liegt so nah
Passenderweise findet sich als letztes Kapitel Fontanes das Schlusswort, mit dem er die umfangreiche Reihe seiner Wanderungen (zunächst, es sollte noch ein weiterer Band folgen) beschloss. Hier wird noch einmal deutlich, worauf es ihm ankam und was das Ziel seiner Reiseberichte war.
„Auf einer ‚Tour‘, sagt ich, war mir dieser erste Gedanke zu den Wanderungen gekommen, und ausschließlich als ‚Tourist‘ gedacht ich daheim ihn auszuführen. Jede wissenschaftliche Prätension lag mir fern. Es drängte mich nur, das eingewurzelte Vorurteil von einer hierlandes auf alle Dinge sich erstreckenden Armut und Elendigkeit zu bekämpfen und durch Hinweis auf diesen oder jenen Schönheits- beziehungsweise Berühmtheitspunkt unsrem so gern in die Ferne schweifenden Märker zu Gemüt zu führen: ‚Sieh, das Gute liegt so nah.‘“
(aus: Schlusswort)
Günter de Bruyn (Hg.), Theodor Fontane, „Die schönsten Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Ausgewählt und mit einem Nachwort von Günter de Bruyn“, Fischer 2017, 384 S., 12€, ISBN: 978-3-596-90661-1.
Schöner Hinweis, vielen Dank.
Sehr gern!