Elizabeth Kostova: Das dunkle Land (2021)

Elizabeth KostovaElizabeth Kostova konnte mich als Teenager mit ihrem Bestseller „Der Historiker“ fürs Lesen und die Geschichte Osteuropas begeistern. Deshalb war ich sehr gespannt auf ihren Roman „Das dunkle Land“, der in Bulgarien spielt.

Zum Inhalt

Die Mittzwanzigerin Alexandra Boyd startet im Jahr 2008 ihre Zeit als Englischlehrerin nach einer langen und ermüdenden Anreise aus den USA. Etwas verloren steht sie vor ihrem Hotel im bulgarischen Sofia und ist völlig perplex, als ein gutaussehender Mann gemeinsam mit zwei älteren Leuten nach einem Streit mit dem Hotelpersonal in sie hineinläuft. Bei dieser Gelegenheit vertauschen die beiden ihre Koffer und Alexandra findet sich mit der Asche eines Verstorbenen in der Hand wieder. Von den drei Personen, die flugs im Taxi entschwinden, fehlt jede Spur.

 

Gemeinsam mit dem unkonventionellen und regierungskritischen Taxifahrer Bobby macht sie sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Fremden, um ihm die Urne zurückzugeben. Die Suche entwickelt sich zu einem Road Trip durch Bulgarien, der Alexandra in entlegene Bergdörfer und tief in die Geschichte eines Landes unter kommunistischer Gewaltherrschaft führt.

Meinung

Elizabeth Kostova nutzt in ihrem Roman „Das dunkle Land“ viele Versatzstücke, die ihr schon bei „Der Historiker“ zu Erfolg verhalfen. Wieder gibt es eine junge gebildete Protagonistin, durch deren Augen wir als Leser eine uns fremde Welt kennenlernen. Diese Welt erscheint durch die fremde Sprache (und Schrift, denn Bulgarisch wird im kyrillischen Alphabet notiert), Architektur und Landschaft auch im Jahr 2008 noch als geheimnisvoll und für ein Abenteuer gut. Durch die Konzeption der Handlung lernen wir verschiedene Figuren kennen, aus deren Perspektive verschiedene fiktive Erinnerungen an Begebenheiten der bulgarischen Geschichte der letzten Jahrzehnte geschildert werden. Wir treffen auf alternde Maler, Musiker und Familien, die mal mehr mal weniger an unsere eigene Lebenswirklichkeit anknüpfen und ein facettenreiches Land abbilden.

 

Hinzu kommt eine ganz große Prise Geheimnis. Was hat es mit der kunstvoll gestalteten Urne, die fast wie ein kleiner Tresor anmutet, auf sich? Wessen Asche befindet sich darin? Und wer waren die geheimnisvollen Personen vor dem Hotel? Zur Beantwortung dieser Fragen führt Elizabeth Kostova den Leser mehrmals quer durch Bulgarien – ein wahrer Road Trip, der uns Leser in alte Klöster, versteckte Bergdörfer und entlegene Imbissbuden führt und immer wieder Bezüge zur Gegenwart im Jahr 2008 zu finden versucht.

Anknüpfung an weit Zurückliegendes

Einen Schwerpunkt des Romans bilden die Schilderungen der Repressionen der bulgarischen Bevölkerung nach dem zweiten Weltkrieg und die Einrichtung von geheimen kommunistischen Arbeits- und Umerziehungslagern. Die geschilderten Begebenheiten sind verstörend und Elizabeth Kosotva gelingt es, den Lageralltag detailliert und empathisch zu beschreiben. Insbesondere das Innenleben ihrer Figuren, die jeden Tag aufs Neue versuchen, sich trotz aller Ausweglosigkeit ihre geistige Gesundheit zu bewahren und nicht die Hoffnung zu verlieren, ist ausgesprochen gelungen beschrieben.

 

Wunderbar sind auch die Beschreibungen der abwechslungsreichen bulgarischen Landschaft, der Architektur Sofias und auch die Darstellung kleinerer Dörfer, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Man merkt diesen Beschreibungen an, dass die Autorin selbst vor Ort war und sich nicht nur mit der Geschichte Bulgariens, sondern auch mit (post-)kommunistischer Ästhetik auseinandergesetzt hat.

Konstruiert wirkende Handlung und die unvermeidliche Liebesgeschichte

Sehr konstruiert wirkte dagegen die Rahmenhandlung, also jener Teil der Geschichte, der im Jahr 2008 spielt. Obwohl die Autorin ihre Handlung zum Zeitpunkt des Erscheinens des Romans 2018 bereits um zehn Jahre vorverlegt, gelingt ein organisches Anknüpfen an die historischen Ereignisse nach dem zweiten Weltkrieg nicht.

 

Man merkt den Beschreibungen an, dass die Autorin sehr mit dem Alter ihrer Figuren jonglieren musste, um Zeitzeugen und Figuren des 21. Jahrhunderts miteinander bekannt zu machen. So treffen wir in Bergdörfern auf alte Frauen, die so alt sind, dass sie sich ihres Alters schon gar nicht mehr entsinnen, dafür aber Licht in eine geheimnisvolle Vergangenheit bringen können, extrem junge Handlanger des kommunistischen Lagerregimes und eine Liebesgeschichte mit zwanzig Jahren Altersunterschied, die schon ab dem ersten Kapitel des Romans unvermeidlich und damit leider auch sehr vorhersehbar wirkt. Neben der natürlichen Neugierde der Protagonistin Alexandra soll sie die Motivation für den – in Teilen gefährlichen und unverhältnismäßig aufwendigen – Taxi-Road-Trip durch Bulgarien liefern.

Fazit

„Das dunkle Land“ von Elizabeth Kostova konnte mich zwar mit seiner kenntnisreichen Darstellung der historischen Realität kommunistischer Zwangsarbeitslager überzeugen, nicht aber mit seiner Rahmenhandlung, die stellenweise zu konstruiert wirkte und aus vielen bekannten „Geheimnisvolles-Osteuropa“-Versatzstücken bestand. Daher nur eine Empfehlung für echte Elizabeth-Kostova-Fans und Bulgarieninteressierte.


Elizabeth Kostova, Das dunkle Land, OT: The Shadow Land, aus dem Englischen von Thomas Mohr, Goldmann 2021, 736 Seiten.

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4 Gedanken zu „Elizabeth Kostova: Das dunkle Land (2021)

  1. Das erinnert mich v.A. daran, dass ich seit einer Ewigkeit schon „Der Historiker“ lesen will. Was sich eher schwierig gestaltet, da die Ausgabe weitestgehend vergriffen zu sein scheint. Das macht es schon fast zu eine Mythos XD Aber die Bibo hier in der Stadt hat es woll.
    Vielen Dank fürs erinnern! So betrachtet, wird dann auch Das Dunkle Land spannend auf mich. Ich frage mich immer wie sehr die Betrachtungen mit der Landesrealität zusammenpassen.

    1. Ich habe „Der Historiker“ in so guter Erinnerung, dass ich Sorge habe, das Buch jetzt (Nach 15 Jahren?) noch einmal zu lesen, aus Angst, dass es mir nicht mehr so gut gefallen könnte. Da hängt im Nachhinein wirklich viel meiner jetzigen Lese-, Geschichts- und Osteuropabegeisterung dran. 😀 Ich hoffe, du bekommst es noch gebraucht.

      „Das dunkle Land“ punktet vor allem mit den Beschreibungen des Lageralltags und der Landschafts- und Stadtbeschreibungen. Ich finde, dass man hier schon deutlich merkte, dass Kostova sich dort auskennt und vieles mit eigenen Augen gesehen hat. Andererseits merkt man auch, dass sie – passt ja auch zu ihrer Protagonistin – viel mit den Augen einer Amerikanerin betrachtet. Architektonische Besonderheiten oder Eigenheiten im Aussehen der Menschen, die uns als mit Osteuropa vertrauten Europäern gar nicht unbedingt auffallen würden. Oder eben auch Korruption, von der man durch den einen oder anderen Pressebericht immer wieder liest – da fehlte für mich ein wenig der Überraschungseffekt – wenn man das so sagen kann.

  2. „Der Historiker“ fand ich großartig. Ich sehe es wie du: Ich habe auch Angst, dass es mir jetzt nicht mehr so gut gefällt.
    „Das dunkle Land“ habe ich angefangen, aber ich konnte mich nicht so richtig dafür begeistern. Außerdem hatte ich Sorge, dass es zu viele Gräueltaten beinhaltet. Ich glaube, ich lasse es jetzt auch ganz und denke einfach mit Vergnügen an den Historiker zurück.
    Liebe Grüße
    Marie

    1. Ja, Gräueltaten werden schon geschildert und kamen für mich auch etwas überraschend, weil ich aufgrund des Klappentextes nicht unbedingt mit detaillierten Schilderungen aus dem Lageralltag gerechnet hatte. „Das dunkle Land“ ist auf jeden Fall nicht Kostovas bestes Werk.
      Viele Grüße
      Jana

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