[Leserunde] #Ecolesen: Die Geschichte nimmt Fahrt auf

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In welchem Gedanken über die Geschehnisse am zweiten und dritten Tage festgehalten werden, wobei besonderes Augenmerk auf die philosophischen und religionspolitischen Unterredungen gelegt wird

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Große Politik und lange Monologe

Nachdem ich die Kapitel zum zweiten und dritten Tag gelesen habe, scheinen mir die Morde in Ecos Roman und die Form des Kriminalromans einzig gewählt worden zu sein, um einen Handlungsrahmen für die philosophischen und religionspolitischen Diskurse zu bieten. Diese scheinen dem Autor wirklich am Herzen gelegen zu haben; die Blutrünstigkeit der Morde erscheint mir immer mehr „schmückendes Beiwerk“ zu sein. Wie seht ihr das? Haltet ihr die Kriminalgeschichte für den Kern des Romans, oder findet ihr auch, dass die Gespräche am meisten Raum einnehmen?

Auch wenn ich die Themen der Diskussionen interessant finde, ermüdet mich die monologisierende Sprechweise Williams, des Abts und Jorges ganz schön. Spritzige Dialoge sind das nicht – die finden sie eher zwischen Adson (der ab und zu ganz schön vorlaut daher kommt) und William.

Bei den Gesprächen Adsons mit William und Ubertin ist sehr deutlich geworden, wie willkürlich die Bezeichnung „Ketzer“ oder „Häretiker“ ist und wie offensichtlich sie für politische Zwecke instrumentalisiert wird. In diesem Zusammenhang hat mich dann aber doch überrascht, wie abschätzig die Mönche vom Papst reden. Ich hätte gedacht, dass ihnen das Amt zumindest einen Rest Respekt oder Zurückhaltung abnötigen würde. Beim Heiligen Stuhl wird der umstrittene Johannes XXII. als 196. Papst geführt; der Artikel der großen Online-Enzyklopädie geht auch auf den im Roman thematisierten Armutsstreit und den streitbaren Charakter des Pontifex‘ ein.

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Wissenschaft und Küchenphilosophie

Durch den Besuch der Mönche verschiedener Professionen hat Eco sehr schön herausgearbeitet, wie die Differenzierung innerhalb der Wissenschaften erst langsam beginnt, dass der Handwerker zugleich Optiker und Restaurateur ist; der Botaniker zugleich Arzt. Die Mönche sind nicht reine Kopisten und Bewahrer, sondern forschen auf verschiedenen Gebieten – was später noch Anlass zu einem großen Donnerwetter geben wird (so habe ich schon gelesen).

William scheint anders als die Mönche der Abtei auf jedem Gebiet bewandert zu sein. Im Vergleich zum ersten Kapitel wurde er mir persönlich sympathischer, insbesondere, als er sich schwer tat, Adson auseinanderzusetzen, was Ketzertum nun eigentlich bedeutet und Adson nach der Küchenszene gut zuredet.

Ja, die Küchenszene! Hätte ich gewusst, was mich erwartet, hätte ich sie mir genauso vorgestellt: irgendwie überspannt und dabei unheimlich klischeehaft. Jetzt bin ich geneigt, Adsons vermutetes Alter doch um ein paar Jahre nach oben zu korrigieren. Er tat mir ein bisschen leid, wie Eco ihn sich und seinen Selbstvorwürfen überließ; insgesamt habe ich die Figur in mein Herz geschlossen. Ich finde sie ungewöhnlich verständig, ein klein bisschen naseweis und einen schönen Gegenpol zu all den ernsten Mönchen mit ihren dunklen Geheimnissen.

Fra_Dolcino_Lithografie 19. Jahrhundert
Fra Dolcino, Lithographie aus dem 19. Jahrhundert

Apropos, nachdem alles, was ihn betraf, nur in Andeutungen kund getan wurde, habe ich das Gefühl, dass der sagenumwobene und schreckliche Fra Dolcino nach dem Gespräch Adsons mit Salvatore noch eine größere Rolle spielen wird. Fra Dolcino und seinen militärischen Kampf hat Eco sich nicht ausgedacht; wer noch nicht weiter gelesen hat, sollte den letzten Abschnitt des Artikels allerdings meiden (Spoilergefahr!). Diese Figur, die im Roman nur in Erzählungen auftaucht, finde ich faszinierend. Seine Taten werden von Kirchenseite aus aufs Schärfste verurteilt; die Mönche haben regelrecht Angst, wenn sein Name fällt und natürlich sind seine Gewalttaten zu verurteilen. Auf der anderen Seite geizt die Inquisition auch nicht mit politisch motivierten Anschuldigen und Gewalt. Keine einfachen Zeiten damals.

Wie sieht’s bei euch aus? Kommt ihr gut mit den Dialogen zurecht, oder findet ihr auch, dass sich hier die eine oder andere Länge eingeschlichen hat? Empfandet ihr das Verhalten des alten Ubertins Adson gegenüber auch als ein wenig übergriffig? Und was haltet ihr von der Geschichte um Fra Dolcino und seine Anhänger? Haltet ihr Salvatore für „geläutert“ oder für einen reinen Opportunisten?

Alle Beiträge zur Leserunde hier auf dem Blog

1/6 [Leserunde] #Ecolesen: Ankündigung

2/6 [Leserunde] #Ecolesen: Der erste Eindruck

3/6 [Leserunde] #Ecolesen: Die Geschichte nimmt Fahrt auf

4/6 [Leserunde] #Ecolesen: Dem Ende entgegen

5/6 [Leserunde] #Ecolesen: „Ketzer“-Gruppierungen im Überblick

6/6 [Leserunde] #Ecolesen: Abschluss und Fazit

 

7 Gedanken zu „[Leserunde] #Ecolesen: Die Geschichte nimmt Fahrt auf

  1. So weit ich mich noch erinnern kann, haben mich die Dialoge damals ganz schön angestrengt. Irgendwann werde ich das Buch nochmal lesen und ich vermute mal, dass mir diese dann besser gefallen werden, da die Lebenserfahrung zugenommen hat.

    Liebe Grüße
    Marc

  2. Hallo Jana,

    ich hatte erst am 01.04. mit dem Lesen angefangen, deshalb bin ich noch nicht so weit wie du.
    Mein erstes Leseupdate konnte ich leider noch nicht schreiben, weil von der Uni mehrere Hausarbeiten dazwischen gelegt wurden und ich nicht zum bloggen kam.
    Das erste Update kommt aber bald.
    Bis jetzt gefällt mir das gut. Ich mag Ecos Sprache und seine detaillverliebten Beschreibungen.

    Liebe Grüße
    Elisa

    1. Hallo Elisa,
      ja, ich habe ein paar Tage früher angefangen, damit der erste Beitrag zu Beginn der Leserunde erscheint.
      Die Uni hat mich auch ziemlich im Griff, deshalb wird es bis Oktober hier auf dem Blog bis November ein wenig ruhiger. Ich hoffe, du kommst gut durch deine Hausarbeiten!

      Viele Grüße!
      Jana

  3. Ich bin auch endlich mit dabei und noch gar nicht soweit, um ehrlich zu sein. Ich lese den Roman in der Ausgabe der Süddeutschen Bibliothek und bin äußerst dankbar für den Anhan mit den lateinischen Übersetzungen. Für mich ist es auch sehr schwer zu lesen, aber ich bin schon wieder voll in die Geschichte reingezogen worden. William ist mir sehr sympathisch. Ein ehemaliger Inquisitor, der gemäß seinen Überzeugungen sein Amt niederlegte, weil die Machenschaften seiner Mitinquisitoren nicht mit seinem Verständnis des Glaubens konform gehen. Auch das erste Zusammentreffen mit Ubertin fand ich dahingehend äußerst interessant. Ubertin kann ich aktuell noch nicht einschätzen. Meines Erachtens nach zum jetzigen Zeitpunkt, ist er ein Mensch, der der Wollust nicht abgeneigt ist und sich viel zu sehr ergötzend in seinen Schilderungen der Perversität seiner Verurteilten ergeht. Am Wochenende werde ich mehr Zeit haben, zu lesen, allerdings erst nächste Woche wieder kommentieren können, da ich nicht im Lande bin. Ich freu mich drauf. Ich hatte ganz vergessen, wie sehr mir der Roman gefällt und es ist erneut faszinierend, wie sich der eigene Blickwinkel ändert, wenn man das Buch ein zweites Mal als Erwachsener lies im Vergleich zu vor 20 Jahren.

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