Beitrag 4
In welchem nicht der inhaltliche Fortgang der Geschichte geschildert, sondern eine Übersicht der namentlich bekannten sogenannten Ketzergruppierungen dargeboten wird.
In Umberto Ecos „Der Name der Rose“ tauchen immer wieder verschiedene Ketzergruppierungen auf. Ein Thema, das den jungen Novizen Adson fasziniert und das die älteren Mönche ihm nur schwer auseinanderzusetzen wissen. Einige Gruppen spielen im weiteren Verlauf eine größere Rolle; oft betreibt Eco nur Namedropping. Hier habe ich versucht, die wichtigsten Informationen zu den einzelnen im Teil „Dritter Tag – Nona“ genannten Gruppen zusammenzutragen. Vieles fand ich in der Online-Enzyklopädie, einiges auf anderen Webseiten. Weiterführende Informationen in den Kommentaren sind wie immer willkommen!
Gruppierung | Kurzinfo |
Anhänger der Bewegung des Freien Geistes | „Die Brüder und Schwestern des freien Geistes waren eine pantheistisch-mystische Glaubensgruppe im Mittelalter. Sie stand den Amalrikanern nahe und wurde von Papst Clemens V. auf dem Konzil von Wien im Jahre 1311 als häretisch verdammt. |
Apostoliker, auch: Apostler, Apostelbrüder, Apotaktiker, Dolcinellen | „Apostoliker, auch Apostelbrüder oder Angehörige des Apostelordens genannt, bezeichnet die Anhänger verschiedener Sekten, die im Gegensatz zur Verweltlichung der Kirche Rückkehr zu apostolischer Einfachheit forderten. Zum Nachfolger Segarellis als Führer der Apostoliker erklärte sich Fra Dolcino, der in prophetischen Sendschreiben den Untergang des Papsttums und das Erscheinen eines endzeitlichen Kaisers zu beschwören begann. Nachdem Dolcino und seine Anhänger sich der Verfolgung durch die Inquisition zunächst als Wanderprediger im Untergrund entzogen hatten, gingen sie ab 1304 zu offenem militärischem Widerstand über. Sie verschanzten sich auf einem Berg namens ,Parete Calva‘ und begannen in den umliegenden Diözesen Novara und Vercelli einen Guerillakrieg gegen das gegen sie aufgebotene Militär, wobei sie ihren Unterhalt durch Raubzüge und Brandschatzungen in der Umgebung sicherten. Schließlich gelang es dem Bischof von Vercelli, die Dolcinellen auf ihrem Berg einzuschließen, auszuhungern und gefangen zu nehmen. Dolcino wurde zusammen mit seiner Gefährtin und „spirituellen Schwester“ Margareta sowie 150 seiner Anhänger am 1. Juni 1307 auf dem Scheiterhaufen verbrannt, was im Wesentlichen das Ende der Bewegung bedeutete, obwohl es in den folgenden Jahrzehnten einige Male in Norditalien, Spanien und Frankreich zum kurzen Aufflammen kam.“ |
Arnoldisten | Wohl nach dem italienischen Prediger Arnold von Brescia (*um 1090 in Brescia; † 1155). Vertrat die Auffassung, auch der Säkularklerus (d.h. die nicht in Orden inkarnierten Geistlichen) solle nach Vorbild der Mönche Besitzlosigkeit und Ehelosigkeit üben und auf jede politische Macht verzichten. Arnold war einer der Führer der Römischen Kommune und wurde 1155 im Verlauf des Romzugs Friedrich Barbarossas hingerichtet. Der Begriff „Arnoldisten“ ist nicht eindeutig und könnte auch die Anhänger des Arztes und Laienpriesters Arnaldus de Villanova bezeichnen. |
Begharden, fem. Beginen; Auch: Lollarden | „Als Beginen (auch Begutten) und Begarden wurden ab dem 12. Jahrhundert in den Niederlanden und dem 13. Jahrhundert in Deutschland, Frankreich, Oberitalien und der Schweiz die Angehörigen einer christlichen Gemeinschaft genannt, die keine Ordensgelübde ablegten und nicht in Klausur lebten. Beginen (weibliche Mitglieder) und Begarden (männliche Mitglieder, auch Lollarden oder Lollharden genannt) führten ein religiöses, eheloses Leben in Gemeinschaft, in sogenannten Beginenhöfen oder -häusern. […] Beginen und Begarden legten ein Gelübde auf Zeit ab, das in der Regel jährlich erneuert wurde. Beginen und Begarden war es gestattet, wieder aus der Gemeinschaft auszuscheiden, zu heiraten und sich ein bürgerliches Leben aufzubauen. Ihr Vermögen mussten sie in diesem Fall zurücklassen. Aus diesem Grunde lebten in der Blütezeit der Bewegung vorwiegend ältere Frauen in den Beginenhäusern. Manche Ordnungen schrieben vor, dass eine unverheiratete Frau nicht vor dem 40. Lebensjahr Begine werden könne. […] ,Absolute Armut und antiklerikale Opposition waren die Grundlagen, die sich bei allen häretischen Begardengemeinschaften finden, über die wir Quellen besitzen.‘“ |
Fratizellen | Mit Fratizellen (it.: Fraticelli = Kleine Brüder oder „Brüderchen“) bezeichnete man Franziskaner, die sich im 13./14. Jahrhundert als „geistlich Gesinnte“ (Spiritualen) vom franziskanischen Hauptzweig abgesetzt hatten und eigene Untergruppen (Spirituale) bildeten. […] |
Humiliaten | „Die Humiliaten (lateinisch humilis ‚niedrig, demütig‘) waren Anhänger einer mittelalterlichen christlichen Armuts- und Bußbewegung in Norditalien. Ursprünglich als Gemeinschaft von Laien gegründet, stieg diese ab 1201 in den Rang eines Ordens auf.[…] |
Joachimiten | „Joachimiten sind die Anhänger der Prophetie des Joachim von Fiore (†1201), der für 1260 den Anbruch des ‚Zeitalters des Geistes‘ verkündet hatte. Es sollte auf das Zeitalter des Vaters und des Sohnes folgen und die verweltlichte Kirche in urchristliche Zustände zurückversetzen. Den Joachimiten galt anfänglich der staufische Kaiser Friedrich II., später der Papst als Antichrist. Der Joachimismus wurde von der schroffen Richtung der Franziskaner übernommen, die sich 1230 vom Hauptstamm abgespalten hatte, um das ursprüngliche Armutsideal wieder zu verwirklichen und dadurch in offenen Widerspruch zur Kurie geriet. Im 13. und 14. Jahrhundert wurden Joachimiten in Italien von der Inquisition verfolgt.“ Quelle Was genau man sich unter einer „schroffen Richtung der Franziskaner“ vorstellen muss, wird mir nicht ganz klar. Vielleicht eine besonders auf Armut bedachte Richtung. |
Katharer, auch: Albigenser | „Katharer – ihr Name kommt vom griechischen „ktharos“, rein – ist die Bezeichnung für die weit verbreitete religiöse Bewegung des Mittelalters. Katharer zeichneten sich durch das Einhalten strenger Askese aus. Sie vertraten eine vom Manichäismus beeinflusste dualistische Theologie, der zufolge das Universum aus einer von Gott geschaffenen spirituellen und der vom Satan beherrschten materiellen Welt. […] |
Lombarden | Unklar, welche Gruppierung Eco hier neben der Bevölkerung der Lombardei meinen könnte. Mglw. handelt es sich um die Lombardischen Pauperes, s. u. |
Lombardische Pauperes, auch: Katholische Armen der Lombardei | Mglw. meint Eco hiermit eine in der Lombardei einberufene Versammlung der Waldenser, die der internationalen Kooperation diente. Quelle |
Luziferianer | „Der in Deutschland wirkende Inquisitor Konrad von Marburg († 1233) glaubte an die Existenz einer eigenen Sekte von Luziferianern [Teufelsanbetern]. 1233 beschrieb Papst Gregor IX. diese angebliche Häresie in seinem Brief Vox in Rama. Dass eine solche Häresie außerhalb kirchlicher Klischees und Propaganda je im Mittelalter existiert habe, wird von der Wissenschaft weitgehend abgelehnt.“ Quelle |
Patarener | „Die Pataria war eine ekstatische religiöse Bewegung im 11. Jahrhundert in Oberitalien. […] Die Bewegung, die Mitte des 11. Jahrhunderts in Mailand entstanden war und spätestens seit 1075 als Pataria bezeichnet wurde, breitete sich vom Zentrum Mailands bis nach Cremona, Piacenza und Brescia aus und besaß auch Verbindungen nach Florenz. Der Name Patarener wurde in späterer Zeit pauschal und ohne historische Kontinuität für die Katharer weiterverwendet. […] |
Spiritualen | siehe Fratizellen |
Waldenser | „Die Waldenser sind eine protestantische Kirche mit Verbreitung in Italien, Süddeutschland (Ötisheim) und Südamerika. Ursprünglich als Gemeinschaft religiöser Laien Ende des 12. Jahrhunderts durch den Lyoner Kaufmann Petrus Valdes in Südfrankreich gegründet, wurden die Waldenser während des Mittelalters von der katholischen Kirche ausgeschlossen und als Häretiker durch die Inquisition verfolgt. Trotz der Zwangsmaßnahmen breiteten sich ihre Glaubensvorstellungen rasch in Europa aus und beeinflussten später auch in die evangelischen Kirchen der Reformationszeit.[…]
Am 22. Juni 2015 bat Papst Franziskus die Waldenser für die erlittenen Verfolgungen um Verzeihung.“ Quelle |
Wilhelmiten | Der Orden der Wilhelmiten („Orden der Eremitenbrüder des hl. Wilhelm“), selten auch Wilhelmiter oder Guglielmiten, war ein Mönchsorden, der vor allem in Italien, Frankreich, Deutschland, Österreich, in der Schweiz und in den Niederlanden vertreten war. […] |
*Die Zitate werden teilweise gekürzt wiedergegeben, Hervorhebungen erfolgten durch mich.
Wer ganz tief einsteigen möchte, findet hier eine ausführliche Literaturliste zu Ketzerbewegungen im Mittelalter.
Alle Beiträge zur Leserunde hier auf dem Blog
1/6 [Leserunde] #Ecolesen: Ankündigung
2/6 [Leserunde] #Ecolesen: Der erste Eindruck
3/6 [Leserunde] #Ecolesen: Die Geschichte nimmt Fahrt auf
4/6 [Leserunde] #Ecolesen: Dem Ende entgegen
5/6 [Leserunde] #Ecolesen: „Ketzer“-Gruppierungen im Überblick
2 Gedanken zu „[Leserunde] #Ecolesen: „Ketzer“-Gruppen im Überblick“