[Indiebook] Rebecca Wait – Das Vermächtnis unsrer Väter (2019)

Auf der schottischen Hebriden-Insel Litta geschieht ein schreckliches Verbrechen. Ein Mann erschießt seine Frau und zwei seiner Kinder, zum Schluss sich selbst. Nur der kleine Tommy überlebt, versteckt in einem Wandschrank. Wie kann er mit einer solchen Last leben? Hätten die Bewohner der Insel das Verbrechen verhindern können?

Rebecca Wait Das Vermächtnis unsrer Väter

Sturmumtoste Abgeschiedenheit

Das kleine Litta ist eine fiktive Insel der Inneren Hebriden. Aufgrund der geografischen Angaben im Roman könnte die dünn besiedelte Insel Colonsay als Vorbild gedient haben. Rebecca Wait, die zeitweise selbst auf den Hebriden gelebt hat, fängt die Mentalität der Bewohner gekonnt ein. Die Sprachlosigkeit, die Tommy entgegenschlägt, hat nicht nur mit der grausamen Tat zu tun. Die Menschen von Litta sind sowieso nicht sehr gesprächig und etwas spröde. Man arbeitet stundenlang schweigend nebeneinander und erzählt sich abends im Pub am liebsten die alten Geschichten der Insel.

Von außen dringt nicht viel herein; wem die Grenzen des kleinen Eilandes zu eng sind, zieht schnell wieder weg. Jeder kennt jeden und jeder weiß um das beschwerliche Leben des anderen. Von der Schafzucht allein kann kaum noch jemand leben, die meisten schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch. Das Wetter trägt sein Übriges zur allgemeinen Stimmung bei: Meist ist es windig und nass.

Ablehnende Sprachlosigkeit

Tommy kehrt als erwachsener Mann auf die Insel seiner Kindheit zurück und begegnet verschämter Ablehnung und Sprachlosigkeit. Keiner der Bewohner will nach den vergangenen Jahren noch an das schreckliche Verbrechen erinnert werden. John, der Täter, war schließlich einer von ihnen, ein Mann, der auf der Insel unter den paar dutzend Einwohnern aufgewachsen war. Nachbarn und Freunde fragen sich: Wie kann jemand so etwas tun? Hätte ich nicht was merken müssen?

Die Sprachlosigkeit aufgrund der Gewalttat gepaart mit der charakteristischen Unlust am Plaudern macht es den Figuren schwer, überhaupt miteinander ins Gespräch zu kommen. Exemplarisch zeigt sich das an der heimlichen Hauptfigur des Romans, Tommys Onkel Malcolm, dem Bruder des Täters. Dieser gutherzige Mann verzweifelt fast an der eigenen Unfähigkeit zum Smalltalk und der nahezu unmöglichen Überleitung zu ernsten Gesprächen.

Der Familientyrann als Erbnachfolger?

Der Roman stellt zwei große Fragen: Inwiefern ist das Umfeld des Täters mitschuldig an der Tat? und Wird die Rolle als Familientyrann vom Vater an den Sohn weitergegeben?

Tommys Vater war so ein Familientyrann, sein Großvater ebenso. Tommy selbst spürt in sich das Verlangen, seine Freundin zu verletzen. Einfach so, nur, um sie leiden zu sehen. Ist der Hang zur Gewalt erblich? Das fragt sich auch Tommys Onkel Malcolm, der zwar unter seinem Vater litt, aber selbst jahrelang die harmonischste Ehe führte. Sein Bruder dagegen tötete kurzerhand seine gesamte Familie. Warum kam sein Bruder nach dem Vater, er selbst aber nicht?

All diese Fragen wirft der Roman auf, ohne dem Leser dabei eine konkrete Antwort vorzugeben. Ganz ohne Erklärungsansatz lässt die Autorin uns aber nicht zurück. In einer Sequenz beschreibt sie das Kennenlernen von Tommys Eltern und das von Problemen geprägte Aufwachsen beider Elternteile. Rebecca Wait sucht nach der Ursache für die Bluttat in der Kindheit ihrer Figuren:

„Aber genau darin lag das Problem: Fast alles, was man als erwachsener Mensch tat, war eine direkte Folge der eignen Erziehung, war Rebellion dagegen. Und um den psychologischen Fängen der eigenen Familie zu entkommen, heiratete man dann das genaue Gegenteil von sich selbst.“ S. 132

Dem Erklärungsversuch, welche Art von Frau gefährdet ist, in die Fänge ihres eigenen Mörders zu geraten, hätte es für mich nicht bedurft. Ich glaube, dass dieses Problem zu komplex ist, um es allein anhand einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung aufzuziehen.

Fazit

Rebecca Waits Roman ist nicht im eigentlichen Sinne spannend, aber er hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Jede Figur trägt hier die Last ihrer eigenen Schuld an einem Verbrechen, das nur der Täter begangen hat. Der Mensch neigt trotzdem dazu, sich wahlweise selbst zu zerfleischen oder zu verdrängen. Das fängt Rebecca Wait in „Das Vermächtnis unsrer Väter“ ausgezeichnet ein. Definitiv eines meiner Highlights in diesem Jahr.

Rebecca Wait , Das Vermächtnis unsrer Väter (OT: Our Fathers, aus dem Englischen von Jenny Merling), Kein & Aber 2019.


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