Wie spannend! Wie kraftvoll! Schillers „Wilhelm Tell“ gehört ganz zu Recht auf die Klassikerliste.
Die Sage von Wilhelm Tell
Die mittelalterliche Schweiz wird von Vogt Gessler, dem verlängerten Arm des österreichischen Kaisers, drangsaliert. Der treibt das Spiel mit der Macht so weit, dass die Schweizer ehrerbietig grüßen müssen, wenn sein Hut auf einem Stock vorbeigetragen wird.
Die stolzen Bauern, Hirten und Grundbesitzer von Unterwalten, Uri und Schwyz wollen sich das nicht gefallen lassen und schwören auf einer Rodung am Vierwaldstättersee den Rütlischwur zur Gründung der Schweizer Eidgenossenschaft. Die drei Kantone sichern sich gegenseitig Unterstützung im Kampf gegen die Österreicher zu und planen den Umsturz.
Wilhelm Tell ist zunächst gar nicht an den Umsturzplänen beteiligt. Weil er einem Schweizer Landsmann bei der Flucht vor den Schergen Österreichs hilft, hat der Vogt ihn aber auf dem Kieker. Als Tell dann auch noch vergisst, den Hut zu grüßen, fordert Vogt Gessler ihn zu einem gemeinen „Spiel“: Mit der Armbrust soll er einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen, um Amnestie zu erlangen.
Nach viel Aufregung trifft Tell den Apfel, doch als er zugibt, dass er bei anderem Ausgang den Vogt getötet hätte, lässt dieser ihn festnehmen und Richtung Gefängnis verschiffen. Im Sturm kann Tell vom Schiff fliehen und lauert sodann auf den Vogt, um ihn schließlich zu töten.
Moral und Nationalstaat
Die schwächste Stelle im gesamten Stück war für mich der Monolog Tells, in dem er den Schuss auf den Vogt rechtfertigt. Hier moralisierte Schiller für meinen Geschmack ein wenig zu viel. Natürlich war es nicht in Ordnung, den „Tyrannen“ (nach allem, was die Geschichte danach hervorgebracht hat, auch eher ein „softer“ Typ) heimtückisch zu erschießen. Aber vielleicht ist die philosophische Frage vom Tyrannenmord auch seitdem einfach so ausführlich diskutiert worden, dass sie dem heutigen Leser bewusster vor Augen steht als dem damaligen.
Nach der Lektüre hatte ich die aufrechten Schweizer Eidgenossen in mein Herz geschlossen. Schiller gelingt in „Wilhelm Tell“ etwas, dass ich so noch nicht gelesen habe: Aufgrund der historischen Distanz und der Sympathie für die Aufständischen, kann Nationalstolz ganz unverblümt als solcher benannt werden, ohne, dass die Geschichte ins Nationalistische abdriftet. Denn hier ist Nationalstolz deckungsgleich mit Freiheit von fremder Willkürherrschaft und das konnte ich auch als – hoffentlich kritische – Leserin ohne Bauchschmerzen nachvollziehen.
Fazit
Schillers „Wilhelm Tell“ hat einen vagen, fast sagenhaften Charakter. Ganz anders als beispielsweise bei seinem Don Carlos (Hatte das noch jemand als Schullektüre?). Dieses Mythische, Legendenhafte, hat mir sehr gut gefallen. Ebenso wie die Erkenntnis, wie sprachprägend das Stück auch heute noch ist. Heute weiß man:
Durch diese hohle Gasse muss er kommen.
Friedrich Schiller, Wilhelm Tell, 1804.
Wissenstipp: Legende von Wilhelm Tell und der Gründung der Schweiz
Weitere Meinungen zum Werk:
Ihr habt auch über Wilhelm Tell geschrieben oder das Stück gelesen oder auf der Bühne gesehen? Was haltet ihr davon?
Liebe Jana,
danke für die ausführlichen Eindrücke!
Alles, was ich bislang über Wilhelm Tell wusste, war das Schießen des Apfels. Warum er schießt und worum es in der Geschichte überhaupt geht, war mir aber unbekannt.
Ich mag Schiller sehr – mein liebster Dichter und Dramatiker. Allerdings muss ich noch einiges von ihm lesen. Auf Wilhelm Tell hast du mich nun neugierig gemacht. 🙂
Liebe Grüße
Kathrin
Liebe Kathrin,
Wilhelm Tell hat sich wirklich gelohnt. Schiller gefällt mir auch schon seit Schulzeiten außerordentlich gut; mit seinem Sturm und Drang passte er auch super in die Teenagerzeit. 😀 Wir haben damals Don Carlos gelesen und mir hats gefallen. Ich habe aber bislang auch nur einen kleinen Teil seines Werkes gelesen. Wenn du mal Lust auf ein gemeinsames Lesen von Maria Stuart hast – das wollte ich als nächstes von ihm lesen – sag gern Bescheid!
Viele liebe Grüße
Jana