[Roman] Michael Ondaatje: Katzentisch (2014)

Katzentisch

„Katzentisch“ von Michael Ondaatje war mir zuvor kein Begriff und obwohl der obligatorische „Bestseller“-Sticker das Buch als eben solchen ausweist, bin ich erst durch die Empfehlung einer lieben Freundin darauf aufmerksam geworden. Überhaupt kannte ich den kanadischen Schriftsteller niederländisch-tamilisch-singhalesischer Herkunft Michael Ondaatje nur des Namens nach wegen seines bekannten Werkes „Der englische Patient“. „Katzentisch“ war daher meine erste Begegnung mit ihm.

Zum Inhalt

„Katzentisch“ trägt autobiografische Züge, berichtet im Wesentlich aber fiktional über die Reise des elfjährigen Michael im Jahr 1954 aus einer bisherigen Heimat Sri Lanka nach Großbritannien. Zwar lose durch eine entfernte Verwandte betreut, hält sich Michael meist unbeobachtet an Bord eines Luxusdampfers auf und stellt mit seinen zwei gleichaltrigen Reisegefährten allerhand Unfug an. Die drei Jungen nehmen die anderen Mitreisenden besonders in den Blick; ihre Tischnachbarn am „Katzentisch“ wissen täglich Neues zu berichten und unterhalten die Bande mit mal mehr mal weniger ernst gemeinten Geschichten über die anderen Passagiere.

So reist Michaels hübsche Cousine, die das Aufsehen der Passagiere erregt, ebenso mit, wie ein Strafgefangener, der nach Großbritannien überführt werden soll. Als die Jungen das erfahren, kennt ihre Neugier keine Grenzen. In nächtlichen Aktionen versuchen sie, mehr über den mysteriösen Mann und dessen vermeintliche Komplizen an Bord in Erfahrung zu bringen.

Meinung
Handlungsarme Heldenreise am Katzentisch

Bis etwa zur Mitte des Buches habe ich einen richtigen Plot, eine verfolgbare Geschichte, vermisst. Der junge Protagonist Michael reist auf dem Luxusdampfer von Sri Lanka nach Großbritannien, Zwischenstation wird an verschiedenen Häfen gemacht – insofern eine klassische „Heldenreise“. Eine innere Entwicklung des Elfjährigen, der die Fahrt über hin und wieder ängstlich auf das bevorstehende Wiedersehen mit seiner Mutter in England blickt, war für mich aber nicht auszumachen. Die Handlung nimmt erstmals etwas Fahrt auf als alte Passagiere das Schiff verlassen und sich die vorhandenen als vielschichtige Charaktere entpuppen. Daher bin ich der Geschichte in der zweiten Hälfte des Romans lieber gefolgt.

Kindliche Perspektive

Etwas, mit dem ich bis zum Schluss nicht warm wurde, ist die kindliche Perspektive des elfjährigen Protagonisten Michael. Der erwachsene Schriftsteller Ondaatje dahinter ist allgegenwärtig. Viele Reflexionen empfand ich als über den Horizont eines Elfjährigen hinausgewachsen, ja, als zu erwachsen.

Ondaatje versucht immer wieder, dies aufzufangen, indem er Passagen des erwachsenen Michaels, der Jahrzehnte später auf die Reise zurückblickt, einfließen lässt. Doch auch hier erscheint die Detailtiefe der Erinnerungen an eine zweiwöchige, mehrere Jahrzehnte zurückliegende Schiffsreise als zu ausgeprägt, als insgesamt zu bedeutsam für ein Leben, das danach rasant weiterging, Weltreisen und Aufenthalte an vielen verschiedenen Orten beinhaltete.

Fabrizierte Bedeutungsschwere

Insgesamt hatte ich daher bei den Passagen, die die Gedankenwelt des erwachsenen Michaels reflektieren das Gefühl, dass der Dampferfahrt zu viel Bedeutung zugeschrieben wird. Dass hier der Autor versucht, um jeden Preis Verknüpfungen der damals aktiven Personen untereinander herzustellen – auch, wenn diese jahrzehntelang keinerlei Kontakt hatten. Die Bedeutung der Dampferfahrt für das Leben des Protagonisten erschien mir daher – auch, wenn das spektakuläre Ende dieser Fahrt die Ereignisse als lebensverändernd darstellt – als zu gezwungen und daher als stellenweise nicht glaubhaft.

Fazit

Trotz der langsam dahinschippernden Handlung und der kindlichen Perspektive bin ich dem Roman wegen des Schreibstils Michael Ondaatjes bis zum Ende gefolgt. Einige wunderschöne Sätze finden sich immer wieder an überraschenden Stellen und die leisen, sich anbahnenden Liebesgeschichten aus der unverständigen Sicht eines Elfjährigen zu verfolgen, war durchaus charmant. Auch, wenn „Katzentisch“ nicht mein Lieblingsroman von ihm werden wird, bin ich gespannt, andere Werke wie das bekannte „Der englische Patient“ kennen zu lernen.


Michael Ondaatje, Katzentisch, OT: The Cat’s Table (2011), aus dem Englischen von Melanie Walz, dtv 2014, 299 S.

Weitere Meinungen zu „Katzentisch“

Die Schreibmaschine
Stories on Paper

Mehr Seefahrt hier auf dem Blog

Schwob, Marcel: Manapouri. Reise nach Samoa 1901/1902

Stevenson, Robert Louis: Die Schatzinsel

Verne, Jules: 20.000 Meilen unter dem Meer

2 Gedanken zu „[Roman] Michael Ondaatje: Katzentisch (2014)

  1. Hallo Jana! 🙂
    „Der englische Patient“ steht schon länger auf meiner Leseliste. Deine eindrückliche Besprechung von „Katzentisch“ macht mich jetzt erneut neugierig auf den Autor und der Vorsatz, den Roman endlich in Angriff zu nehmen, ist wieder da. 🙂 Die Idee von „Katzentisch“ klingt interessant, man bekommt durch deine Rezension ein gutes Gefühl für den Charme der Geschichte; die fehlende Authentizität würde mich aber vermutlich zu Dauer-Augenrollen verleiten, weshalb das wohl keine Lektüre für mich ist. 😀

    Viele liebe Grüße!
    Nana

    1. Hallo Nana,
      danke für deinen Kommentar und schön, dass ich einen guten Eindruck von der Geschichte vermitteln konnte. Ständiges Augenrollen beim Lesen ist furchtbar – habe nach zwei Bänden zuletzt eine ganze Reihe deshalb abgebrochen – noch drei Bücher wollte ich mir nicht antun. 😀
      Viele liebe Grüße
      Jana

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