Surab Leschawa – Ein Becher Blut (2018). Der Meister der georgischen Groteske

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Das Werk des georgischen Autors Surab Leschawa liegt fernab des literarischen Mainstreams. Der Band „Ein Becher Blut“ versammelt Erzählungen über Begebenheiten der Sowjetzeit und der folgenden Umbruchjahre. Mit viel Humor und dem Blick fürs Absurde erzählt Leschawa von Verarmung, Verdrängung, religiösem Fanatismus und sexueller Identität.

Die Geschichten vom Rand

Die acht für den Band „Ein Becher Blut“ ausgewählten Erzählungen nehmen den Leser mit in ein Georgien fernab von Bergromantik und Abenteuerurlaub. Die titelgebende Erzählung „Ein Becher Blut“ erzählt vom Gefängnisalltag und den verschiedenen Charakteren, die ihn prägen. Vornehmlich geht es um die Tricks, mit denen es den Gefangenen gelingt, sich auch in Zeiten des Mangels ein Festmahl zu bereiten und Alkohol zu destillieren. Am Ende der Geschichte steht dann aber – unerwartet in dieser von Gewalt und Machtspielen geprägten Atmosphäre – plötzlich die Frage der Menschlichkeit im Vordergrund und der Leser erfährt, was es tatsächlich mit dem Becher Blut auf sich hat.

„Fick doch deine Oma“

In „Fick doch deine Oma“ begleiten wir einen arbeitslos gewordenen Künstler durch seinen tristen Alltag in einem halb verfallenen Plattenbau. Viel bringt der alleingelassene Alkoholiker nicht mehr zustande – außer ab und an seine Nachbarn durch sein Akkordeonspiel im Bademantel auf die Palme zubringen. Als Leser nicken wir erschrocken, wenn diese Figur eindringlich fragt: „Habe nicht auch ich ein Recht darauf, zu leben?“

„Die Heckmünze“

Ganz anders die Erzählung „Die Heckmünze“, die den Volksglauben des sich unendlich vermehrenden Geldstücks aufgreift. Leschawa kombiniert hier Fantasien von dunkler Teufelsbeschwörung mit dem Ziel eines queeren Liebespaares, im liberalen Belgien zu heiraten – die Heckmünze soll’s ermöglichen. Die Geschichte wird schnell abenteuerlich: Das Weibliche ist Frankenstein’scher Ableger des Männlichen, der bösartige Alp entpuppt sich als beleidigte Witzfigur, die aus vorheriger Erzählung schon bekannte fanatische Sekte probt den Aufstand und der Innenminister dreht inmitten des Chaos‘ ein Musikvideo. Nicht zu Unrecht bezeichnet der Literaturwissenschaftler Zaal Andronikashvili Surab Leschawa im Nachwort dann auch als „Meister der georgischen Groteske“. Spätestens nach der Lektüre der „Heckmünze“ kann man ihm nur zustimmen.

Sprachverliebte Kapriolen

Surab Leschawa spielt mit Sprache. Einen äußerst komischen Effekt erzielt der Autor etwa dadurch, dass er die Mitglieder einer fiktiven ultrakonservativen Sekte Altgeorgisch sprechen lässt. Weil das keine der Figuren so recht beherrscht, lesen sich die dadurch entstehenden Gespräche aus dem modernen Alltag herrlich absurd und unterstreichen die Kritik an der engstirnigen und ewig gestrigen Ausrichtung der Fanatiker:

„Suri Suluchia: So saget mir doch, ob dies‘ Mayonnaise schlecht sei?

Verkäuferin: Nein, der Herr, was denken Sie! Das Datum steht oben drauf, sie ist ganz frisch eingetroffen!

Suri Suluchia: Als könnt‘ man gewahr werden, ob’s trefflich sei, was draufstünde!

Verkäuferin: Sie ist neu, werter Herr, ganz sicher!

Suri Suluchia: So haltet mich zum Narren nicht, Weib! Mich bedürfts der Mayonnaise für das Kindelein!

Verkäuferin: Für wen bitte wollen Sie die Mayonnaise?

Suri Suluchia: Das Kindelein, das Kindelein!“

(Der Spion und der Beobachter, S. 184–185)

Ab und an schaltet sich auch die Autorenstimme in die Geschichte ein, kommentiert sie, entschuldigt sich für die derbe Wortwahl und beschreibt den Bedeutungsgehalt von Worten. So nimmt der Autor einen Begriff, erklärt, dass er aus dem Russischen stammt und lässt den Leser nachvollziehen, warum er das gewählte georgische Wort als angemessenen Platzhalter betrachtet:

„Aber jetzt das hier, guckt euch mal an, was ‚Saradschi‘ ist: in diesem Moment lese ich nämlich wieder in jedem Russisch-Georgischen Wörterbuch. Meine Güte – ein georgischer Schriftsteller, der Georgisch aus dem Russischen lernt, während er die georgische Entsprechung zum russischen ‚Schornik‘ (Sattler) im Wörterbuch sucht. Ich dachte bislang nämlich, ‚Saradschi‘ sei dasselbe wie ‚Siradschi‘, und wisst ihr wieso? Weil die Familie der Saradschischwilis Winzer waren (zumindest meiner Kenntnis nach). Und deswegen dachte ich, ‚Saradschi‘ und ‚Siradschi‘ seien dasselbe. Aber kaum fange ich an, meine Geschichte zu schreiben, da erfahre ich, dass ein ‚Saradschi‘ (Sattler), gar kein ‚Siradschi‘ (Winzer) ist, sondern in Wahrheit ein ‚Schornik‘ – ein Sattler! Anscheinend waren die Saradschischwilis tüchtige Leute, die ihr Geschick in beiden Disziplinen unter Beweis stellen konnten.“

(Ein Becher Blut, S. 107)

Eine gelungene Übersetzung

Diese sprachverliebten Kapriolen lassen sich auch in der gelungenen deutschen Übersetzung von Tamar Muskhelishvili wunderbar nachvollziehen. Insgesamt haben ÜbersetzerInnen aus dem Georgischen derzeit aber einen schweren Stand. Selbst während der Frankfurter Buchmesse im letzten Jahr, als die Werke georgischer SchriftstellerInnen einen ungeahnten Aufmerksamkeitsschub erhielten, ging die Arbeit der ÜbersetzerInnen völlig unter. Die Verleihung des georgischen SABA-Literaturpreises an Julia Dengg und Ekaterine Teti für die Übersetzung des modernen Klassikers „Die Himmelblauen Berge“ von Reso Tscheischwili ins Deutsche wurde in der Presse fast nicht rezipiert. Es ist bemerkenswert, dass die Literatur eines Landes, das derzeit gefühlt in jeder zweiten Reisereportage auftaucht, so wenig Aufmerksamkeit erhält. Umso erfreulicher ist es, dass mit Surab Leschawas „Ein Becher Blut“ ein etwas sperrigeres Werk ins Deutsche übersetzt wurde.

Leschawa im Gefängnis

Leschawa springt nicht nur zwischen Russisch und Georgisch hin und her, sondern – so erfährt man im Nachwort von Zaal Andronikashvili – greift auf seine Spracherfahrung aus seiner Zeit in einem ukrainischen Gefängnis zurück. Dort war der Autodidakt nach einer unglücklichen Auseinandersetzung mit einem sowjetischen Beamten gelandet. Milieutypische „Gaunersprache“ findet sich insbesondere in den Geschichten, welche die Lebenswelt von Gefängnisinsassen abbilden. Dieser Teil kam für mich in der deutschen Übersetzung allerdings nicht so stark zum Tragen. Ob es daran liegt, dass etwaige Ausdrücke der „Gaunersprache“ schon im alltäglichen deutschen Sprachgebrauch angekommen sind oder diese Sprachnuance auch im Original schwächer ausgeprägt ist, konnte ich nicht nachvollziehen.

Der Schock des vermeintlich Obszönen

Was sofort ins Auge springt, sind die vermeintlich vulgären Themen vieler Geschichten. Es geht um Scheiße, ums Ficken, um Pimmel und Pin-ups. Wenn man sich aber einmal darauf einlässt, erkennt man, dass Leschawa dem Leser nach dem kurzen Schock des Obszönen eine ganze Welt eröffnet. Anhand urmenschlicher Bedürfnisse erzählt der Autor die Geschichten der Marginalisierten.
Durch die Erzählungen im Sammelband „Ein Becher Blut“ zieht eine ganze Parade von verarmten, gefangenen, psychisch kranken, homo- oder transsexuellen Figuren. Das ist großartig und kommt mir – ohne, dass ich eine vertiefte Kenntnis der Literaturszene im Land hätte – außergewöhnlich vor, für die christlich geprägte, konservative georgische Gesellschaft.

Der kommunistische Funktionär auf der örtlichen Dorftoilette

Durch die Thematisierung des vermeintlich Obszönen übt Leschawa auch Systemkritik und holt politische Funktionäre aus dem hohen Sphären des kommunistischen Parteiapparats zurück auf die örtliche Dorftoilette:

„Mit Müh und Not hatte der Akademiker die Hose hochgezogen. Er scannte die Umgebung durch die Türritze ab, huschte aus dem verfluchten Klo und wusch sich im Waschbecken die Hände. Ach, das Herkommen war das eine, aber das Verschwinden war umständlicher. Wie ließ es sich so hinbiegen, dass sein Abgang verständlich und ehrenvoll blieb? Er konnte ja schlecht sagen: ‚Ich bin Ihnen sehr verbunden, aber ich habe eine Reißzwecke im Arsch und kriege sie nicht mehr heraus, außerdem habe ich in mein Hemd geschissen und rieche nach Scheiße, deshalb muss ich das Feld räumen.‘ Es ist eine Misere…“

(Die Echtheit der Falschheit oder Die Reißzwecke, S. 46)

Fazit

Surab Leschawas Erzählungen sind eigenwillig und wohl auch nichts für den allzu zimperlichen Leser. Unter der Oberfläche vermeintlicher Obszönitäten zeigen sich jedoch humorvoll verpackte Gesellschaftskritik und ein scharfer Blick für die Absurditäten des Alltags.

Literatur aus Georgien hat nach der Schließung des Georgian National Book Center im Juni dieses Jahres insgesamt einen schweren Stand. Ein Protestbrief der Kurt Wolff Stiftung konnte die Auflösung und das Ausscheiden der bisherigen Leiterinnen Metreveli und Lomouri nicht verhindern. Umso erfreulicher ist derzeit jeder Text, der trotz der Widrigkeiten ins Deutsche übersetzt wird. Gerade, wenn es sich dabei um so ein ungewöhnliches und eindrucksvolles Werk wie jenes von Surab Leschawa handelt.


Surab Leschawa, Ein Becher Blut, aus dem Georgischen von Tamar Muskhelishvili, Edition Monhardt 2018. Link zum Buch auf der Verlagsseite.

Mehr Literatur aus dem Südkaukasus:

Tscheischwili, Reso: Die Himmelblauen Berge

Degens, Marc: Eriwan

 

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